The Terror
Sensationell! Ich lerne das Sehen neu. Ich gehöre ja nicht zu den Pixelfetischisten, die immer der hochauflösendsten Technik hinterherhecheln und (bis zu nächsten Entwicklung) nur 4K-Restaurationen für das Nonplusultra halten (gerade bei sehr alten Filmen finde ich es irritierend, wenn man ihnen ihren Zelluloid-Ursprung gar nicht mehr ansieht, und manchen Filmen bekommt verbrauchte Optik tatsächlich besser als Hochglanz, z.B. Tarkowskijs Ästhetik des Verfalls). Aber bei The Terror hängt meine Nase fast am Bildschirm und ich starre gebannt auf jede einzelne Pore in Jared Harris‘ Gesicht. Die Handlung um diese Arktik-Expedition mit Monster hat mich längst verloren, aber diese Bilder, die bei Außenaufnahmen an Caspar David Friedrich erinnern (die Spannung zwischen bläulichem Weiß und bräunlichem Schwarz ist so wunderschön) und selbst bei den dunkleren Innenaufnahmen alles klar skulpturieren, lassen mir jedes Mal schier die Augen übergehen. Und diese Schärfe! Die Offiziersknöpfe leuchten blanker als in der Realität und die Gesichter gleichen Makroaufnahmen von Poren, Falten und Narben. Ich kann euch nicht sagen, welche Zauberei dafür verantwortlich ist (Kamera, Bildschirm, Aufmerksamkeit?), aber ich habe das Gefühl, The Terror bringt mir ein schärferes Sehen bei. Das heißt für mich immer noch nicht, dass schärfer immer besser ist, aber es festigt durchaus die geplante nächste Technik-Investitionen, denn die schärfere Option zu haben kann manchmal doch ganz nett sein.
Legion – Chapter 9
Sensationell! Falls ihr euch fragt, wo die ganze Kreativität in der derzeitigen Serienlandschaft steckt: hier, in der neuen Folge Legion. Man möchte kaum blinzeln, aus Angst, das nächste surreale Feuerwerk zu verpassen. Handlung, Figurenzeichnung, alles völlig irrelevant. Man lässt sich in den Kaninchenbau fallen und staunt. Wie zum Teufel soll diese Energie nur über die nächsten neun Folgen hinweg gehalten werden?
Legion – Chapter 9
Franz Rogowski
Am Freitag sah ich den schönsten Mensch auf der Leinwand, der mir seit Joaquin Phoenix‘ Johnny Cash (nein, die Ähnlichkeit ist kein Zufall) unter die Augen gekommen ist. Man merkt: Es sind nicht die Posterboys, die mein Herz erwärmen, es ist ein gewisser Ausdruck und die damit verbundene Kraft der Mimik. Schon neulich in Love Steaks wurde mir klar, dass ich da einen besonderen Schauspieler entdeckt habe, aber ihn auf der großen Leinwand zu sehen ging mir wirklich durch Mark und Bein. Diese Verlorenheit in seinem Blick konnte ich fast nicht ertragen. Wie gut, dass der schönste Mensch der Welt Schauspieler ist und ich ihn dadurch immer wieder ungescholten anstarren kann. Liebes deutsches Kino, bitte gib ihm alle guten Rollen, die du hast. Übrigens spielt er auch Theater, derzeit zwei Stunden entfernt an den Münchner Kammerspielen. (Was anderes: Studierendenermäßigungen mit Altersbeschränkung sind diskriminierender Scheißdreck! Als ob mit 30 das Geld vom Himmel fällt und man sich gefälligst nicht mehr der eigenen Weiterentwicklung zu widmen hat statt „der Gesellschaft zurückzugeben“.)
Andrew Scott als Hamlet
Die Zeiten, als Hamlet mein Lieblingsstück von Shakespeare war, sind zwar seit Jahren seit dem Moment vorbei, als ich erkannte, was für ein selbstzentriertes, misogynes Arschloch Hamlet ist. Seither suche ich sehnsüchtig nach der Darstellung, die mir den Vorzeige-Melancholiker wieder nachvollziehbar macht. Look no further! In Robert Ickes moderner Inszenierung mit goldenem Instagram-Filter, die für eine Fernseh-Aufzeichnung von Rhodri Huw aufbereitet wurde (und noch drei Wochen hier zu streamen ist), spielt Andrew Scott ihn als trauernden, wütenden Getriebenen, nicht ohne Selbstironie, der allein durch seinen wunderschönen irischen Akzent (der keinen Sinn ergibt, aber trotzdem organisch ist) von der Gesellschaft ausgeschlossen wirkt. Er ist ein Häuflein Elend, von Impulsen angetrieben, die ihn manchmal schier übermannen, ohne sie in spezifische Handlungen übertragen zu können, weil es keine unzweifelhafte Lösung gibt für diese moralisch und emotional verwirrenden Menschen in seinem Leben. Er ist zugleich depressiv, zutiefst enttäuscht von der Welt und von einer inneren Unruhe bedrängt, die er lediglich in ständiges Wippen, Herumspielen an seiner Uhr und das Dirigieren von Gemälden in die Luft kanalisieren kann. Sein teils emotionaler, teils sehr einsichtiger Wahnsinn ist die ersehnte, hilflose Reaktion auf eine Welt, die keiner humanen Logik folgt und auf deren Fortgang er keinen positiven Einfluss hat. Was könnte zeitgemäßer sein?
Andrew Scott als Hamlet
Der schnöde Mammon
Ich finde mich momentan völlig überraschend in einem Zustand, in dem ich am Ende des Monats Geld übrig habe (also, nicht viel, aber immerhin), daher ein bisschen vor mich hin“prasse“ (also, für meine Verhältnisse) und es sehr genieße, ohne schlechtes Gewissen zu konsumieren. Das wird sich sicherlich bald erst mal wieder ändern, zumal ich mir vornehme, im neuen Leben dann deutlich ethisch vertretbarer einzukaufen. Aber für den Moment muss ich mir das einfach mal gönnen. Es sieht sogar aus, als könnte endlich mal eine Sonnenbrille mit Stärke bei mir einziehen – eine Anschaffung, die mir schon so lange unter den Nägeln brennt, aber nie so dringend war, um dafür mal eben 300 Euro aus dem Ärmel zu schütteln. Hach, Geld, schon angenehm. (Das ändert dennoch nichts an der Tatsache, dass Studierendenermäßigungen mit Altersbeschränkung diskriminierender Scheißdreck sind!)