Obwohl ich in einem Haushalt mit 75% Frauenanteil aufgewachsen bin, war Make-up bis ins hohe Teeniealter kein Thema für mich. Ich habe nie meine Mutter bestaunt, wie sie mit ruhiger Hand einen Lidstrich zog, ich habe mich nie an ihrem Kulturtäschchen vergriffen und wurde danach halb lachend, halb tadelnd in die hohe Kunst des Schminkens eingewiesen. Ich bin dem auch nie aus dem explizit aus dem Weg gegangen; es gab einfach immer etwas anderes, Wichtigeres zu tun, zu lernen, auszuprobieren.
Selbst in der Schule kann ich mich nicht erinnern, dass mein Nichtgeschminktsein je auf irgendeine Weise thematisiert wurde. Vielleicht war es eine andere Zeit. Für Teenies gab es einen pinken Glitzerlipgloss als Sonderbeilage der BRAVO, kein 24-teiliges Multishade-Contouring-Set aus der Drogerie wie heute. Lange vor den Sozialen Medien war der perfekte Lidstrich noch keine Religion, es gab keine Monster-Hauls, über die man berichten konnte. Wenn eines der frühreiferen Mädchen irgendwann das erste Mal mit Wimpertusche in die Schule kam, war das — Woah, hast du die gesehen?
Es war einfacher, unkomplizierter. Und so bin ich meine gesamte prägende Zeit ungeschminkt durchs Leben gegangen – und ich tue das noch immer. Im Alltag, und ich meine auch den Arbeitsalltag, trage ich tatsächlich nichts, keine Foundation, keinen Concealer, nicht einmal Mascara. Morgens nach der Reinigung trage ich eine dünne Schicht Gesichtsöl auf, das ich besser vertrage als Cremes. Dabei belasse ich es. Ich habe schlichtweg keine Lust, kleine Rötungen mit etwas abzudecken, das die Stelle zusätzlich reizt, oder meine ohnehin schon empfindlichen Augen mit Mascara zu ärgern.
Es ist nicht so, dass ich über ein perfektes Aussehen (haha) oder ein grandioses Selbstbewusstsein verfüge. Im Gegenteil, ich hatte mehr als einen „Ich habe eine Wassermelone getragen“-Moment in meinem Leben. Ich besitze nicht die makellose Pfirsichhaut der Mädchen von Germany’s Next Topmodel. Ich gehe auch langsam auf die Vierzig zu. Natürlich sieht man das.
Aber fragt euch einmal selbst: Wie vielen ungeschminkten Frauen seid ihr heute begegnet? An der Supermarktkasse, beim Arzt, vor dem Geldautomaten? Wenn es euch so geht wie mir, dann könnt ihr das nicht beantworten. Weil ihr einfach nicht darauf achtet. Ihr habt die Gedanken bei anderen Dingen, dem Einkauf, der möglichen Diagnose, wo ihr gleich noch mal die Bankkarte hingetan habt.
Also, wenn ihr dem Make-up-Status anderer Frauen keine Beachtung schenkt, warum sollte es anderen Frauen mit euch anders gehen? Mich hat dieser Gedanke darin bestärkt, tagsüber ungeschminkt aus dem Haus zu gehen. Nicht nur, weil man morgens einfach etwas länger schlafen kann.
Das soll aber nicht heißen, dass ich mich der ganzen Sache verweigere, im Gegenteil, abends zum Ausgehen schminke ich mich gern. Ich habe vorletztes Jahr einen VHS-Kurs zum Thema Make-up besucht, weniger, um die Technik zu lernen, sondern mehr, um mir erklären zu lassen, wann viel zu viel ist. Denn ohne wirkliche Abend-Make-up-Erfahrung kommt mir jeder leicht dunklere Lidschatten gleich vor wie Lilo Wanders‘ Bühnenaufmachung. Mir fehlt der Blick dafür, was noch okay ist, um sich mit Freunden zu treffen, und was eher in die Gruftdisco gehört. Ich habe da trotz engagierter VHS-Kursleiterin immer noch Probleme, das realistisch zu beurteilen.
Dabei kommt zusätzlich zum Tragen, dass ich nicht, wie Lena geschrieben hat, Make-up als Schutzschild ansehe, sondern als Zielscheibe. Ich habe nicht das Gefühl, mich dahinter verstecken zu können, oder mich der Welt optimiert zu präsentieren, sondern eher den Eindruck, damit erst recht aufzufallen. So schön ich das bei anderen finde, und so sehr mir das vor dem heimischen Spiegel auch an mir selbst gefällt, mir gibt es keine Sicherheit. Nicht selten dimme ich mein mühsam aufgelegtes Farbspektakel wieder mit hautfarbenem Puder, bevor ich gehe. Nur gut, dass der Nude-Look gerade so angesagt ist. 🙂
Natürlich weiß ich um die Vorzüge von Make-up. Es kann trotz der Verspachtelung interessanterweise den Blick dafür öffnen, wie schön man darunter wirklich sein kann. Und in den richtigen Händen kann es eine echte Kunst sein, Gesichtszüge zu modellieren, mit oft atemberaubendem Ergebnis.
Doch für mich bleibt es eine Maske. Nicht verwunderlich, dass to make something up auch bedeuten kann, sich etwas auszudenken. Eine Fantasie, die sich abends mit Dutzenden kleinen Wattepads spurlos entfernen lässt. Was zählt, ist eben doch nur, was bleibt.
4 comments
Wunderschön geschrieben, aber ich muss natürlich mit Trivialitäten auffallen: Im Unterschied zu Cremes verhält sich das Gesichtsöl wie? Ich kann mir vorstellen, dass es auch meiner Haut entgegenkommen würde, aber vor meinem inneren Auge sehe ich mich wie nach der Sauna schweißgebadet aussehend. *lach*
Vielen Dank für das nette Kompliment!
Ja, ich weiß, Öl klingt immer so nach triefender Fritteuse, aber da macht tatsächlich die Menge den Unterschied. An dem Fläschchen ist eine kleine Pipette, und damit male ich mir einen etwa 1cm langen Strich auf die Handfläche. Das reicht für das gesamte Gesicht.
Im Gegensatz zu Cremes lässt sich Öl gaaanz dünn verstreichen und zieht auch schneller ein. Ich hab das Gefühl, meine Haut hat dann nicht so eine „Wachsschicht“, sondern ist nur ganz leicht geschützt. Ich finde das recht angenehm vom Gefühl her.
Btw, eine Prise handelsüblicher Zucker und einem Tropfen Öl in der Handfläche vermischt, ergibt ein 1A-Peeling für die Lippen. 😉
Das werde ich doch mal ausprobieren! <3
Falls du das echt mal machst, lass mich wissen, ob’s was für dich war.
Und noch ein Tipp: Wenn du fertig bist mit „Einölen“, kannst du den allerletzten Rest aus den Handflächen in die Haarspitzen verteilen. Nur extrem wenig, aber das gibt guten Glanz.
So, genug Beautytipps von Tante Helen ;P