Phantom Thread (fast noch schöner ist der deutsche Titel: Der seidene Faden) erzählt im Nachkriegs-London von der toxischen Beziehung eines nicht mehr ganz chicen, sehr unentspannten Haute-Couture-Designers und einer jüngeren, experimentierfreudigen Immigrantin. Da Paul Thomas Anderson diese einfache Geschichte geschrieben hat, ist es aber ein Film, der viele Fässer öffnet: über Kunst und Leben, den Künstler und seine Leinwand (andernorts wird Alma zwar als Reynolds‘ Muse bezeichnet, mir scheint sie eher wie eine bessere Schaufensterpuppe), Ästhetik und Natürlichkeit, Regeln und Maßlosigkeit, Macht und Unterwerfung und schließlich Beziehungen und Missbrauch (es als Liebe zu bezeichnen finde ich auch problematisch). Ich musste aber besonders zurückdenken an Richard Brodys Deutung von Andersons The Master, der ebenfalls zwei gegensätzliche menschliche Gewalten aufeinander loslässt. Für Brody war diese Gegensätzlichkeit auch ein Ausdruck von Performance, von unterschiedlichen Schauspielstilen. So gesehen ist Phantom Thread aber noch sehr viel deutlicher ein Film über das Schauspiel und damit ein Abgesang auf Daniel Day-Lewis‘ Affektiertheit.
Für Day-Lewis‘ pingeligen, despotischen Designer muss alles nach selbst geschaffenen Regeln stattfinden, in der Arbeit wie im Privatleben. Das Natürliche ist für ihn keine Grenze. Sind die Brüste des Models zu klein, schneidert er ihr eben größere. Er steht für den künstlich, bis ins Detail durchdesignten Protagonisten, der durch strenge Disziplin seitens des Darstellers geschaffen wird und durch Maske und Kostüme geformt werden kann. Er braucht akribische Routinen, um in der Rolle zu bleiben und darf niemals aus der Konzentration gerissen werden. Die charakterlosen, altmodischen, aber prätentiösen Kleider, die Reynolds Woodcock (dieser Name!) entwirft, unterstreichen dies nur, wie auch die streng genormte Maßlosigkeit beim Essen. Die Frühstückpalette, die er bei der ersten Begegnung mit Kellnerin Alma bestellt, ist geradezu theatralisch üppig, mit einem Spannungsbogen vorgetragen, aber trotzdem innerhalb bestimmter Normen. Der Tee muss stimmen.
Dem für seine Exaktheit bekannten, aber am Ende der Karriere angelangten Star Day-Lewis/Woodcock setzt Anderson die (jedenfalls für internationales Publikum) unbekannte Vicky Krieps/Alma entgegen, die Unscheinbare und Natürliche, ohne Hintergrundgeschichte, die sie psychologisieren und als Charakter festlegen würde. Sie scheint weniger zu spielen, denn einfach sie selbst zu sein, ohne angestrengt vorgeformte Gesten und Kleidung. Sie handelt nicht nach einer Methode, einem durchgestylten Lebensplan, sondern ergibt sich spontan den Anforderungen der Momente und des Gegenübers – und das mit einem Augenzwinkern. So macht sie weniger auf sich und ihr Spiel aufmerksam, ist dafür aber unmittelbarer und bereit dazu, das Unvorhersehbare zuzulassen, auch einfach intuitiv den Körper sprechen zu lassen (Auftritt Pilz). Die Schlüsselszene ist die, in der Alma sich über das ständige Spiel, die Künstlichkeit von Reynolds‘ Leben und Gesellschaft aufregt, bis ihr irgendwann die Worte fehlen. Almas Tirade wirkt hier tatsächlich von Vicky Krieps improvisiert. Mittlerweile habe ich sie in zwei weiteren Rollen gesehen (ich empfehle: Das Zimmermädchen Lynn) und auch wenn sie sicherlich nicht auf einen Typ abonniert ist, scheint sie nicht ganz aus ihrer Haut zu können. Sie wirkt nun mal grundsätzlich wie dieses etwas unbeholfene, aber irreführend unschuldige Wesen – während Day-Lewis für jeden Film eine andere extreme Rolle überstülpt. Mir persönlich war Day-Lewis‘ stets spürbare Disziplin immer schon viel zu aufdringlich und generell ist mir diese Definition von Kunst als Selbstkasteiung zuwider. Kunst ist kein Marathon. Und der Toast braucht Butter! Daher ist das Ende von Phantom Thread als schauspielerisches Selbsteingeständnis (und Abschied ins Klo) durchaus befriedigend.
Phantom Thread
(dt.: Der seidene Faden)
2017
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Schauspiel: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville, Brian Gleeson, Gina McKee
Kamera: Paul Thomas Anderson
Musik: Jonny Greenwood