Nach dem Horrorctober musste erst mal ein neues Filmprojekt her – eines, das meine Watchlist ordentlich abbaut, meinen Horizont erweitert, das mir aber viel näher und heimeliger ist als Grusel und Splatter: Kostümfilme. Der Kostümfilm zählt zu meinen Lieblingsgenres, weil er eine Form des Eskapismus bietet, die nicht realitätsfern und aufwendig parallele Welten mit fremden Regeln und Abläufen erschafft. Diese schöne fremde Kostümfilmwelt stellt vielmehr das Fundament unserer Realität dar und vereinfacht dabei gesellschaftliche Mechanismen (wie die Lebensentscheidung für Job oder Mann, aber auch Sehnsüchte und Charaktereigenschaften), überhöht sie aber für den Effekt. Damals waren Beziehungen und Lebenswege eben klarer geregelt, die Wünsche kleiner. Kostümfilme sind überschaubar, die Emotionen groß, aber umso strahlender poliert. Dennoch geht unsere Gesellschaft, ihre Gesetze und Konventionen, zurück auf diejenige, die in Kostümfilmen dargestellt wird und in ihrer Überhöhung spiegeln sich nicht selten umso klarer die Fehler der Gegenwart.
Zwei Filme und eine Serie aus diesem Jahr machen dies besonders gut: Lady Macbeth (noch im Kino), Alias Grace (gerade auf Netflix) und My Cousin Rachel. Sie haben ein gemeinsames Thema: Die Selbstinszenierung als einzige Form weiblicher Macht im 19. Jahrhundert. Alle drei porträtieren (potentielle) Mörderinnen, die das Töten als einzige Möglichkeit sehen, aus den engen Fesseln der Gesellschaft und Besitzansprüchen von Männern auszubrechen und ein selbstbestimmteres Leben zu führen. Und alle drei Protagonistinnen legen sich Identitäten oder wenigstens Erzählungen zurecht, die die Schuld abwenden und gleichzeitig ihr wahres Wesen, ihre Motivationen und Taten verheimlichen. Es sind drei rätselhafte Figuren, mäandernd zwischen Naivität, Sehnsucht und Berechnung. Sie sind egoistisch und liefern andere ans Messer, was aber als Resultat ihrer Erziehung und Lebensweise gesehen werden kann, die sich komplett über ihre Wünsche hinwegsetzen und ihr Leben in ein schmales Korsett zwängen. Man hat ihnen kein Mitleid beigebracht, sondern nur, dass persönliche Wünsche einen Regelbruch darstellen. Dieses System denkt nicht an den Einzelnen und seine Gefühle, warum sollten die Frauen es bei ihrem Fehlverhalten also tun? Alle drei Filme lassen das Ausmaß der Schuld letztendlich in der Schwebe und fällen kein Urteil. Dadurch beunruhigen sie nachhaltig. Der wahre Sprengstoff in diesen Frauen ist das, was sie verheimlichen. Als Mysterium werden sie gefährlich – für die Gesellschaft und das Patriarchat. Denn der Mann fürchtet, was er nicht versteht.
Wenn man von der Gesellschaft als Objekt behandelt wird, als Gut, das Männer für Befriedigung, Fortpflanzung und zum Saubermachen kaufen, kann man nur Einfluss auf sie ausüben, indem man dieses Objekt selbst formt – durch das Auftreten (Kleidung, Mimik, Gestik) und die Erzählung, in die man das Selbst einbettet. In allen drei Werken sind die Protagonistinnen undurchschaubar, ihre Motivationen und ihre volle Schuld sind unklar. Sie sind Mysterien und inszenieren ein Schauspiel, um durch Manipulation ein wenigstens etwas angenehmeres Leben rauszuschlagen. Und diese Macht der Selbstinszenierung und -erzählung ist ein vielsagendes Statement über die Geschichte der Frau und ihr Verhältnis zu Kleidern, Frisuren und Make-up. Frauenkörper werden gelesen. Sie werden nie unvoreingenommen wahrgenommen. Als Frau ist es nur möglich, zu beeinflussen, WIE ihr Körper gelesen wird. Nicht nur durch Kleidung, auch durch Blicke, Haltung – und durch Worte oder Schweigen. Denn auch davon erzählen die Filme: Wer sich öffnet, wer die Wahrheit erzählt über Verletzungen – die von anderen oder selbst zugefügte – wird schwach und verwundbar. Es bedeutet, die Hoheit über die eigene Geschichte abzugeben. Nur eine unversehrte Maske kommt im Leben weiter. Das ist heute wie vor 200 Jahren nur geringfügig anders.
Im Detail: Lady Macbeth
In Kostümfilmen geht es also auch immer mehr oder minder um die Unterdrückung der Frau, ihren begrenzten Lebensradius, die mangelnde Entscheidungsfreiheit, die sich bestenfalls (wenn sie Glück hat) auf die Wahl zwischen zwei Männern beschränkt, doch auch hier siegt oft die Wirtschaftlichkeit. Die Frau im 19. Jahrhundert ist ein Objekt und die Filme erzählen von ihrer Subjektwerdung. Das kann durch Dialoge geschehen, durch Handlungen oder, wie bei Lady Macbeth, durch Situationen. Der Film erzählt beinahe nichts, keine Hinter- oder Beweggründe, keine Entwicklungen. Er besteht aus Stadien: Langeweile, Leidenschaft, Mord. Und diese werden in distanzierten, sachlichen, aber klaren Bildern vermittelt, durch puppenhaft statische Aufnahmen von Katherine auf dem Sofa, von im Raum marginalisierten Frauen, durch Handkamera und offene Haare in der freien Natur, durch quietschende Betten, durch Pferdekadaver, durch erzwungene Tränen und das sprachlose Gesicht des Hausmädchens.
Aber anders als in anderen Kostümfilmen drücken diese Bilder keinen inneren Tumult aus. Hier ist keine Musik, die zur Stimme der nicht aussprechbaren Emotionen wird. Denn Katherine hat keine Emotionen. Selbst ihre Liebesbekundungen an den Stallburschen wirken lediglich aufgesagt, um die Affäre zu einem noch größeren Befreiungsschlag zu machen. Sie besteht nur aus Impulsen, die sie zu unüberlegten Aktionen verleiten. Es ist, als könnte sie ihrer passiven Funktion im Haus nur das komplette Gegenteil entgegensetzen, denn wie sonst soll sie ihre engen Fesseln sprengen? Das ist die Frage, die letztendlich bleibt. Sind die Morde ihr einziger Ausweg und deshalb auf irgendeine Weise legitim? Ich finde es gut, dass der Film einer Haltung entbehrt. Er bietet kunstvoll reduzierte Einblicke in Menschen und Beziehungen, die ihren Lebenskontext gerade genug erahnen lassen. Aber das ist insgesamt sehr wenig, um sich daran festzuhalten. Nur ein Funken mehr Einblick in Katherines Denken hätte sie zu einem fleischlicheren Wesen gemacht. Hat ihre Objektifizierung sie zu dem kalten Menschen gemacht? Hat sie ihre Gefühle einfach vergraben, weil sie sowieso nicht legitim waren? Sollte ihre einzige Aufgabe tatsächlich darin bestehen, dekorativ im Haus zu sitzen? Das soll sicherlich nur exemplarisch für ihr Leben als Ganzes stehen, aber es reduziert ihr Dasein dadurch auch. Was macht sie den Rest des Tages? Wie sieht die Gesellschaft um sie herum aus? Ein bisschen Kontext hätte geholfen, ihr Verhalten einzuordnen.
Lady Macbeth
2016
Regie: William Oldroyd
Drehbuch: Alice Birch
Schauspiel: Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Naomi Ackie, Christopher Fairbank, Paul Hilton, Golda Rosheuvel
Kamera: Ari Wegner
Musik: Dan Jones
Alias Grace
2017
Regie: Mary Harron
Drehbuch: Sarah Polley
Schauspiel: Sarah Gadon, Edward Holcroft, Anna Paquin, Kerr Logan, Rebecca Liddiard, Zachary Levi
Kamera: Brendan Steacy
Musik: Jeff Danna, Mychael Danna
My Cousin Rachel
(dt.: Meine Cousine Rachel)
2017
Regie: Roger Michell
Drehbuch: Roger Michell
Schauspiel: Sam Claflin, Rachel Weisz, Holliday Grainger, Iain Glen, Tim Barlow, Simon Russell Beale
Kamera: Mike Eley
Musik: Rael Jones
2 comments
Habe in dem Fall My Cousin Rachel grade auf meine Watchlist gesetzt, fand nämlich sowohl Lady Macbeth als auch Alias Grace wirklich gut.
Bezüglich Lady Macbeth habe ich dies tatsächlich so verstanden, dass sie nur im Haus rumsitzten soll. Ihre „Aufgabe“ ist ja im Prinzip lediglich als Objekt Ehefrau zu existieren, damit ihr Mann als ordentlich verheiratet gelten kann. (Und praktischerweise kam sie ja noch gleich mit einem Stück Land inklusive.) Was sie dann den Tag durch eigentlich tut und wie es ihr dabei geht ist sowohl ihrem Mann, als auch Schwiegervater ziemlich egal solange sie sich wie eine „ordentliche“ Ehefrau verhält. Diese Einengung triebt sie schliesslich auch zu ihren Taten.
Ja, das trifft die Funktion der Rolle im Haushalt und im Film gut. Trotzdem denke ich, dass sie als weibliches Haushaltsoberhaupt auch Aufgaben haben muss, im Haus wie gesellschaftliche, oder sich wenigstens Hobbys zulegen kann. Aber die Betonung ihrer Langeweile macht dramaturgisch natürlich schon mehr Sinn.
Wobei ich zu My Cousin Rachel sagen muss, dass die Figur daran das Beste ist und der Film selbst mir erst im Vergleich mit den anderen beiden Werken überhaupt interessant erschien. Aber für Rachel lohnt es sich dann doch.