Wie schon bei Chelsea Wolfes letztem Werk, Abyss, war mir bei ihrer am 2. September erschienen Platte, Hiss Spun, aufs erste Hören glasklar, dass hier etwas Wichtiges in mein Leben getreten ist, ein neuer Zufluchtsort, Musik, die mich ein Leben lang in bangen Momenten begleiten würde. Mich hat wahrscheinlich noch nie ein Album von Anfang an so tief ergriffen und mitgenommen. Hiss Spun saugt einen auf und spuckt einen, wenn man Glück hat, ohne jede Hoffnung wieder aus. Dabei lullt es aber so ein und verdrängt alles andere – die Realität, die eigenen Probleme – dass man sich dem gern hingibt und nicht mehr auftauchen will aus Chelseas neuer Wolfshöhle, die so düster, verzweifelnd und orientierungslos ist wie keine zuvor. Es ist wie die beste Musik weniger Töne denn Gefühl und erschafft eine so drückende, dichte, aber pechschwarz watte-wollige Atmosphäre, die so reiner eskapistischer Schmerz und Sehnsucht ist, dass, wenn die Musik verstummt, die Realität hart ins Gesicht schlägt. Es ist etwas nahezu Lebendiges, etwas Atmendes mit einer eigenen Identität, ein Rudel aus zwölf struppigen, jaulenden Wölfen, die den Hörer aber in ihre Mitte aufnehmen, gefährlich und geborgen zugleich.
Chelsea Wolfes bisher sechs Alben haben je eine klar gezeichnete eigene Identität: The Grime And The Glow hat diesen ungeschliffenen, krachenden Garagensound, der die Gefühle fast beschämend nackt dastehen lässt. Apokalypsis ist erdiger, als wären die Songs in einem hallenden, bewaldeten Tal aufgenommen, mal zur nächtlichen Geisterstunde verwirrt umherirrend, mal am knisternden Lagerfeuer. Das Probierstückchen für Zwischendurch, Unknown Rooms, ist am unbestimmtesten, ein mäandernder, introvertierter Spaziergang durch Wolfes Gedanken, wie ein versöhnlicher Abschiedsgesang an vergangene Enttäuschungen, elegisch und intim. Nur der Bonus Track, das monoton-verzweifelte „Virginia Woolf Underwater“, zerstört natürlich nachhaltig. Pain is Beauty ist genau das, was der Titel verspricht: roher Schmerz, gestriegelt und poliert. Es ist Wolfes glattestes Album, massentauglich, elektronisch-folkig. Wolfe als Minnesängerin, die in ihren modern geradlinigen Gothic-Outfits auf einem düsteren, verfallenen Burgplatz eine abstrakte verflossene Liebe beklagt. Nicht ohne Grund war „Feral Love“ im Trailer zur vierten Staffel von Game of Thrones zu hören. Dann Abyss, ein mechanisch-irrwitziges Monster von einem Album, eine Steampunk-Riesenspinne, die Städte zermalmt, ein gefallener Engel, der den letzten Krieg der Menschheit anzettelt, apokalyptisch und und ohne Zukunft stampft es über die Hörerin hinweg. Ein Hauch von elektronischem Metal und Chelsea Wolfes jaulend-flehender Gesang. Abyss hat mich damals völlig umgehauen. Es vereint alles, was ich in nicht-klassischer Musik liebe: Harte Gitarren, klare Drums, drängende, drückende Atmosphäre, sanfte Minuten, die von plötzlichem Gitarrengewitter überwältigt werden und darin ruhend ein zerbrechlich-klarer Gesang aus purer Emotion – Prog-Rock, Industrial und ab und an der Geschmack von Wald. Man merkt: Chelsea Wolfe erschafft mit ihren Alben Räume, Welten, in denen ihre Songs Geschichten von Schmerz, Enttäuschung und Hoffnung erzählen.
Dabei liegt ihr Geheimnis vielleicht nur in ihrer Stimme. Über all ihre doomigen Songs, auch die auf Hiss Spun, könnte man hervorragend drüberschreien und -gröhlen (was Aaron Turner in „Vex“ ja auch tut), aber Chelsea Wolfe haucht und trällert und heult stattdessen herzzereißend weich ihre geschundene Seele hinaus. Die Perfektion entsteht durch diese Zartheit, die von der Härte der Musik nicht zermalmt wird, sondern die sich in sie einbettet als Kommentar auf die trostlose Realität, die die Instrumente erschaffen. In Hiss Spun schwebt die Stimme oft mäandernd über einem monoton dicht dahindröhnenden Klangteppich hinweg. Trotz der monotonen Atmosphäre gelingt es ihr aber, wie schon in Abyss, die Songs in eine Dramaturgie zu verweben. Nur in Kombination und in der vorgegebenen Reihenfolge erzählen die Songs die vollständige Geschichte. Natürlich ist jeder für sich ein aufreibendes Erlebnis (und ich finde, es gibt wirklich fast keinen schwachen Moment), aber erst zusammen bilden sie diesen spannungsreichen, erlösenden und niederschmetternden Aufbau, wie ich es nur von Tool kenne. Dieses Album ist ein geschlossenes Werk, mit emotionalen Höhen und Tiefen, Strapazen, Verschnaufpausen und erneuten Überwältigungen. Es beginnt drohend knarzend, geht in einen wohlgeformten, noch hoffnungsvollen Hilferuf über, sieht sich in „The Strain“ kurz verschnaufend um, um im wahnsinnigen Dreiklang von „The Culling“, „Particle Flux“ und „Twin Fawn“ zu gipfeln, in „Offering“ wieder zur Ruhe zu finden, in „Welt“ die Hoffnung zu verlieren und im verweifelten „Scrape“ auszuklingen. Es gibt keine Gnade in Chelsea Wolfes Welt, aber solange der Schmerz so schön ist, dass ich meinen eigenen vergessen kann – weich wie ein Federbett und bittersüß wie pechschwarzer Schokopudding – dann wird dieses emotionale Schleudertrauma immer wieder mein relativierendes Wunderland sein.
3 comments
Als Wolf mag ich natürlich Chelsea Wolfe… 😉
Ah ja, dann gefallen dir bestimmt auch Wolf Alice, Wolfmother, Wolves Of Winter, Wolfsheim, Wolf Parade, Oscar and the Wolf, Wolves In The Throne Room und wie sie alle heißen (kurze Spotify-Suche ergibt Erstaunliches). 😉
Nicht zu vergessen Steppenwolf… 😀