Denis Villeneuves Fortsetzung des Science-Fiction-Klassikers Blade Runner wurde von Kritik und Publikum so vielfältig auf- und wahrgenommen, wie es bei ambitionierten Filmen heutzutage nur sein kann: Von augenblicklichem Kult über gepflegte Langeweile bis zu Sexismus wurde alles bescheinigt. Wir haben natürlich auch unsere Meinungen und spiegeln damit immerhin einige dieser Positionen:
Lena
His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly through the universe and faintly falling, like the descent of their last end, upon all the living and the dead.
Was an Blade Runner so erstaunlich ist: Er funktioniert (jedenfalls für mich) mit einem emotionalen Vakuum im Zentrum. Es geht um die Vergänglichkeit allen Lebens. Aber das wird nicht an Lebenswegen verbildlicht, an Menschen, die viel zu verlieren haben. Die Protagonisten haben keine Vergangenheit und kaum Emotionen. Sie laufen eigentlich nur wie Marionetten in diesem Gewusel herum. Er erzählt von einer Wesenheit des Menschen ohne dreidimensionale (oder überhaupt?) Menschen zu zeigen. Die Vergänglichkeit, die Zukunftslosigkeit, der Verfall sickern vielmehr aus der Welt, die der Mensch sich hier erschaffen hat. Blade Runner lebt nicht von seiner Geschichte, sondern von seinem Ort – einem wie unter einer Glasglocke hermetischen, unglaublich authentischen Ort, weil er bereits abgelebt wirkt wie ein antikes Möbelstück. Und für zwei Stunden darf man als Zuschauerin diese unwirklich beleuchteten, postexpressionistischen gigerschen Straßenschluchten ausleihen. Ein Film über Vergänglichkeit, der in einem Zustand verharrt. Es ist eine Zukunft, in der es sich nicht zu leben lohnt, aber Erinnerungen schaffen dennoch eine bittersüße Anhänglichkeit an dieses Dasein.
Wenn Blade Runner ein Film über das Sterben ist („Too bad she won’t live. But then again, who does?“), dann ist Blade Runner 2049 ein Film über das Leben. Zunächst mal ist er kein hermetisches Gefängnis. Die Welt ist viel größer, es gibt weißen statt schwarzen Himmel, leere Flächen statt nur Häuserwände, es gibt Wasser, Sand, Himmel. Aber etwas anderes tritt an die Stelle dieses dichten Ortes: Emotionen, Persönlichkeiten, eine Selbstfindung. Der zweite Teil öffnet den ersten und füllt sein Vakuum. Und damit wird das Thema der Menschlichkeit an tatsächlichen Figuren bearbeitet. Im ersten Teil waren Replikaten, die sich für Menschen hielten. Hier haben wir nun einen potenziellen Mensch, der sich für einen Replikant hält. Der Moment, als der Film mich endlich nach einem gemächlichen Einstieg hatte, war ein emotionaler (danke, Ryan Gosling). Als Replikant K meint, Mensch zu sein, ändert es ihn. Er fällt durch den Replikantentest, er lächelt, er trifft eigene Entscheidungen. Und dann macht sich Stalker Joe in die radioaktive Zone mit dem schwarzen Hund auf, um Antworten zu finden. In letzter Konsequenz ist man auf seine Biologie zurückgeworfen, aber zuvor ist es das eigene Selbstbild, das das Handeln lenkt. Und immer noch wissen wir nicht, was Deckard ist, aber ist es entscheidend?
Roger Deakins‘ Kamera war mir über weite Strecken fast schon zu realistisch und klar. Alles so hell hier. Aber Benjamin Wallfisch und Hans Zimmer finden die perfekte Waage zwischen Referenz an Vangelis, atmosphärischen Klängen und bedrohlichem Dröhnen, zum Glück ohne Leitmotive oder zu deutliche Melodien. Alle diese überstilisierten Jared-Leto-Szenen darf man aber gerne aus dem Film entfernen. Na, vielleicht haben wir ja noch ein paar Schnittfassungen vor uns.
Jelena
Ich kann eure Begeisterung für Blade Runner 2049 nur sehr halbherzig teilen. Das war ein kinematografisches Ereignis, wunderschön anzusehen, ein Hingucker, aber eigentlich reproduziert mir der Film auch nur schon öfter dagewesene Bilder und Klischees. Vor allem Klischees. In einer Dystopie soll alles passieren können, im Guten und im Schlechten. Wieso dann habe ich das Gefühl, dass man mir hier Altbackenes vorsetzt? Wenn doch alles passieren kann und soll, warum passiert dann immer nur Ewiggestriges?
Natürlich finde auch ich die Bildkompositionen wunderschön, die Frames bleiben im Gedächtnis. Ein Film Noir in der Zukunft angesetzt also. Ryan Gosling scheint die perfekte Rollenbesetzung für den namenlosen und grübelnden Antihelden K. Aus der geringsten Regung seiner Mimik kann herausgelesen werden. Weiteres werden darin auch die Fans von Ridley Scotts Kultfilm und Prequel ebenso bedient. Aber die Story – abgesehen davon, dass sie eher schleppend in Fahrt kommt – beeindruckt nicht wie sie das Potential dazu gehabt hätte. Leider ist sie auch ein wenig vorhersehbar, was zwar atypisch für Villeneuve ist, aber nicht sonderlich stört.
Filme von Denis Villeneuve sind etwas für die große Leinwand. Sie ziehen von der ersten Minuten in den Bann, zeigen gnadenlos gemeinte Realitätsgebilde (Polytechnique, Sicario), oder menschliche Dramen klassischen Ausmaßes (Incendies, Prisoners, Enemy) und dann ist da noch sein Meisterwerk Arrival. Arrival wirkt gegen Blade Runner 2049 wie eine Vision. Wir können diskutieren, was alles Blade Runner 2049 versucht zu sein und was dem Film gelingt.
Alles nur ein feuchter männlicher Traum. Man sagt ja, Kino und Träumen, das ergänzt sich, das kann gut miteinander. Aber warum ist das Träumen und Kino hier so langweilig, so ereignislos langatmig. Mein Leben lang bekomme ich Filme vorgesetzt, wo der männliche Blickwinkel – the male gaze – diese Projektionsfläche ausfüllt. Wir sind eine Gesellschaft im Wandel. Warum sehe ich das im Kino nicht? Bzw. warum bekomme ich das so selten zu Gesicht? Kino – das Medium der unbegrenzten Möglichkeiten, bleibt hier klar hinter diesen zurück.
k4tze
Der erste Gedanke war: Warum versagt(e) der Film an den Kino-Kassen? Der zweite: Was hatte man sich erwartet? Ein düsteres, surreales Science-Fiction Erlebnis?
Steht er in Tradition des Originals von 1982, welches so gut wie nichts mit dessen literarischen Vorlage zu tun hat? Natürlich. Längst aus der Mode gekommene Synthesizer-Musik (oder etwas, das sich so anhört wie), gewaltige Bilder von Wüsten und Städten, die in Regen und Rauch gehüllt sind, und die Einsamkeit des Protagonisten. Lange, ohne Schnitte auskommende Szenen und schlussendlich eine Länge von fast drei Stunden – man nahm sich den Vorgänger zum Vorbild, und erfüllte auch meine Erwartungen – was das betraf.
Und trotzdem wirft er ein Augenmerk auf die Moderne, die Jetzt-Zeit und adaptiert das Coca-Cola-Logo von 2D zu 3D, das elektrisch betriebene Fluggerät darf gerne auch mal abstürzen und der Love-Interest ist ebenso künstlich wie der alte – nur eben moderner. Die Verschmelzung ließ etwas an Her erinnern. Auch gibt es ausreichend Action und zeitgenössische Dialoge.
Trotz aller Hommage an das Original, vom feministischen Standpunkt aus gesehen versagt der Film auf ganzer Linie: Wenn auch zum Glück keine Rape-Szene (ihr erinnert euch hoffentlich …), gibt es trotzdem viele sexualisierte Inszenierungen von Frauen und unnötigerweise mehr nackte Brüste als in der letzten Season von Game of Thrones. Sie sind entweder Prostituierte, zur Befriedigung geschaffene Hausfrauen, knallharte Chefinnen oder eiskalte Killerinnen, wobei die zwei letztgenannten die eindeutig interessanteren Charaktere sind und gleichzeitig einen grausamen Tod sterben dürfen. Und dann gibt es noch eine Frau, die im Glaskäfig lebt. Der Unterschied zwischen Replikanten-Frau und menschlicher? Menschen können gebären. Autsch.
Fazit: Darf man annehmen, dass aus den Google-Nexus-Modellen eines Tages Replikanten werden? Sei es aus Teilen davon oder in einer allumfassenden Neukonstruktion?
Blade Runner 2049
2017
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green
Schauspiel: Ryan Gosling, Ana de Armas, Sylvia Hoeks, Robin Wright, Harrison Ford, Jared Leto
Kamera: Roger Deakins
Musik: Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer
Bilder © 2017 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH