„Stormborn“ enthält die ganze verzweifelnde Widersprüchlichkeit von Game of Thrones in einer Episode: die großartigen Reden über leere Loyalität, das Vergeben vergangener Fehler und die Taktik, die hinter einer gemeinsamen Zukunft steht – neben den durchgeschnittenen Kehlen. Das Spiel um den Thron verzwickt sich allmählich wieder und im Norden als auch im Süden, wird taktiert.
Olenna Tyrell rät Daenerys, die weisen Worte Tyrions zu ignorieren, und man darf guten Gewissens annehmen, dass sie dies nicht aus Nächstenliebe macht. Leider scheint sie dabei Daenerys bei ihrem Ego zu kriegen. Diese schwört zwar, nicht „queen of the ashes“ sein zu wollen, Westeros also taktisch statt mit Dracheneinsatz einzunehmen. Als Olenna jedoch darauf hinweist, dass sie schließlich ein Drache unter all den männlichen Schafen in Westeros sei, leuchten ihre Augen dann doch. Aber genau dieses Ego ist es ja, das Cersei so bedingungslos an den Thron fesselt und auch Sansa zunehmend zur Macht zu locken scheint. Diese sie dann auch zum ersten Mal spüren darf. Jon, der von Daenerys die quasi „Einladung“ erhalten hat, nach Dragonstone zu kommen und sich der Queen of Westeros gefügig zu zeigen, übergibt derweil Sansa die Kontrolle über den Norden. Littlefinger freut es und legt ihrem Bruder in der Familiengruft nahe, dass er Sansa liebe, wie er davor ihre Mutter geliebt hatte. Eine Rede, die Jon freilich wenig erbaut. Der schnieke Petyr wird langsam unvorsichtig. So vielleicht auch Cersei, die mit Panikmache und Rassismus die wenigen verbliebenen Verbündeten zum Kampf aufstacheln will. Daenerys bringt mit den Unsullied und Dothraki schließlich Ausländer nach Westeros, was den Untergang bedeuten muss – als hätte Cersei nicht selbst die Republik längst in Schutt und Asche gelegt und entzweit. Jaime hingegen weiß, dass nicht Angst die beste Triebkraft ist, sondern Eitelkeit und der Ausblick auf einen Thron (den im Süden). Denn wie heißt die Serie noch mal? Während Varys Daenerys überzeugt, ihm durch seine Loyalität zum Volk zu vertrauen, obwohl er bereits Könige betrogen hat, setzt Jaime auf Rassenloyalität. Denn wer nicht mit den Lannisters kämpft, kämpft mit den Wilden. Randyll Tarly (Sams Vater) scheint überzeugt.
Derweil erlebt Arya ihr ganze eigenes Dilemma um Loyalitäten. Denn sie gibt, nachdem sie von ihrem Kinderfreund Hot Pie erfahren hat, dass die Boltons nicht mehr an der Macht sind und Jon in Winterfell verweilt, ihr Vorhaben, Cersei zu töten, erstmals auf. Sie reitet nach Norden und trifft auf ein Rudel Wölfe. Schnell wird klar, dass es Nymeria ist, Aryas Direwolf, die seit dem Vorfall mit Joffrey in der ersten Staffel in den Wäldern streunt. Sie hatte damals versucht, Arya vor Joffrey zu beschützen und wurde deswegen zum Tode verurteilt. Um sie zu retten, hatte Arya sie weggeschickt, doch anstatt Nymeria, musste Lady, Sansas Wolf, ihr Leben lassen. Arya bittet Nymeria, mit ihr nach Hause zu kommen. Doch sie wendet sich ab. So wie Arya hat auch sie ihr eigenes Leben gefunden. Die Szene erinnert an die erste Staffel, als Ned Stark seiner Tochter sagte, sie werde eines Tages heiraten und Kinder kriegen, worauf Arya entgegnet hatte: „No, that’s not me.“ Ich persönlich konnte nicht recht deuten, ob das nun bedeutet, dass Arya zu ihren Wurzeln zurückkehrt, ins Stark-Nest eben, oder ob sie sich vielmehr ihres Kämpferinnenwesens besinnt und sich doch noch zu Cersei aufmacht. Da die Serie sich aber momentan sehr anstrengt, Gleichgesinnte zueinanderfinden zu lassen, ist Ersteres wahrscheinlicher.
In der Citadel erklimmt Sam in der Zwischenzeit die Karriereleiter und ist von den Bettpfannenpflichten befreit. Er darf sogar nicht nur bei der Untersuchung von Toten assistieren, sondern beim Heilen von (noch) Lebenden. Ser Jorahs Greyscale hat bereits weite Teile des Oberkörpers eingenommen und der Archmaester erklärt ihn zum hoffnungslosen Fall. Auftritt Sam, der stille Held in diesem Universum großer Worte und Taten. Er kannte Papa Mormont bei der Night’s Watch und macht sich so aus Loyalität schon wieder unerlaubt ans Werk und versucht, die Krankheit mit einer verbotenen Methode zu heilen – indem er erst mal schön die betroffene Haut abschält. Lecker! Schnitt zu einem saftigen Stück Pastete oder Lasagne oder was auch immer der bärtige Mann zum Abend gegessen hat, das ihm dann im Bart hängen bleibt. Ich applaudiere noch immer.
Wir nähern uns dem Ende der Besprechung für die zweite Folge der siebten Staffel. Es ist kalt in Westeros, was Missandei, die aus südlicheren Gegenden stammt, nicht davon abhält, unter ihrem ledernen Kittel nichts als bloße Haut zu tragen. Wir vergaßen Melisandre, die sich in den Dienst Daenerys‘ stellt, und beenden mit Euron Greyjoy, der von King’s Landing nach Dragonstone segelte, um die Flotte von Yara in einem Feuergefecht abzufangen und zu zerstören. Ellaria Sand, ihre Tochter Tyene und Yara werden gefangen genommen und deren Köpfe vermutlich Cersei als Geschenk serviert. Theon flieht. Das Gemetzel an Bord erweckt das alte Trauma und damit Reek und er plumpst angesichts der erforderlichen Heldentat, um Yara zu retten, lieber ins kühle Nass. Man kann es ihm nicht verübeln. Gegen Psycho-Bösewichte gewinnt man in Westeros schließlich nicht innerhalb von zwei Folgen. Außerdem macht Euron den Kampf zwischen Cersei und Daenerys erst spannend. Die unflexible Riesenarmbrust als Drachentöter in Cerseis Keller tut es jedenfalls nicht.
„Stormborn“ verhandelt also das Gewicht von Geschichte und vergangener Treue bei Entscheidungen, die die eigene und gemeinsame Zukunft betreffen. Loyalitäten werden gegeneinander ausgespielt, aufgegeben, neue gebildet, vor allem für das eigene Wohl. Vergangene Fehltritte werden vergeben, vor zukünftigen wird gewarnt. Die einen mahnen: Nicht alles ist wie früher. Die Kinder müssen nicht wie die Väter sein. Die anderen sagen: Die Menschen bleiben immer gleich und verdienen nur die Peitsche. Game of Thrones jedenfalls ändert sich in seinem Zwiespalt nicht mehr: Glauben die ersten 50 Minuten der Folge noch irgendwie an die Kraft der Überzeugung und an Vertrauen, vergießen die letzten zehn Minuten umso mehr und grausamer das Blut der Hoffnungsvollen.
Lena, k4tze