Seit nun 13 Jahren friste ich mein Dasein in einer Großstadt: ich lebe in Wien. Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter habe ich mein Elternhaus verlassen, um meine Zelte in Wien aufzuschlagen. Landflucht nennt man das hierzulande. Nichts hat meinem Leben so sehr in eine Bahn geordnet, wie der Umzug vom Land in die Stadt. Nichts hat mich menschlich so geformt, charakterlich definiert und von Grund auf verändert. Nichts hat mich so angetrieben. Ich bin jetzt Wienerin, auch wenn mein Dialekt, mein Akzent und mein Name mancher Stirn sicher ein Runzeln entlocken. Ich bin Wienerin, weil ich keine andere Zugehörigkeit empfinde. Ich bin Wienerin, weil ich sonst nicht weiß, was ich bin, wenn nicht Wienerin. Ich fühle mich auch nicht wirklich als Städterin. Oder Großstadtmensch.
Mein erster großer Umzug vollzog sich im Alter von 8 Jahren im Rahmen des Jugoslawienkriegs, als wir vom ländlichen Bosnien ist das ländlichere Österreich zogen. Bis auf die Sprache und die Umgebung gab es nicht so viele Unterschiede.
Und vom ersten längeren Wienaufenthalt als Teenager wusste ich: dort und nur dort will ich leben. Vielleicht auch aus Mangel an Alternativen. Zuerst zum Studieren, dann als Lebensmittelpunkt. Tatsächlich hat es auch gedauert, bis ich mich an das Leben in der Stadt gewöhnte. Die ersten Jahre habe ich jede Gelegenheit genutzt, aufs Land zu fahren. Die letzten Jahre nutze ich jede Gelegenheit, in der Stadt zu bleiben. Die einzige Ausnahme stellen meine Reisen dar, weil ich gerne fortfahre, aber genauso gerne wieder zurückkomme.
Wie ist Wien? Einerseits schick und bürgerlich, anderseits versifft und grindig. Die Ringstraße ist prachtvoll und die vielen Touristen können sich sowieso nicht an Wien sattsehen. Auf einer Parkbank sitzen und sich treiben lassen oder dem Treiben um eine herum zusehen – gehört manchmal einfach zur Freizeitbeschäftigung. Charmant? Sowieso! Mondän?Auf jeden Fall. Es gibt Bezirke, die man nie verlassen will und es gibt Bezirke, die man freiwillig nicht betreten will (das liegt meistens daran, dass sie so weit weg sind). Es gibt wunderschöne Grünflächen und es gibt Sechziger-Jahre-Betonklötze so weit das Auge reicht. Oder umgekehrt. Das Kulturangebot ist atemberaubend, alleine schon die Programmkino-Auswahl ist fantastisch (Theaterabo und Mitgliedschaft im Filmmuseum inklusive).
Aber nach 13 Jahren nun die ersten Risse in der Fassade meiner Wienliebe, diese Stadt zehrt langsam an meinem Gemüt. Ich frage mich, ob es nicht doch gemütlicher und losgelöster am Land wäre.
Der ewige Lärm des Gürtels und der Wienzeilen, das tagtägliche Pendeln über die Donau, die vielen klebrigen stinkenden und rotzenden Menschen, diese anonyme Masse, die unfreundlichen Gesichter. Ich habe nur dann einen Garten, wenn ihn mir andere zur Verfügung stellen. Die Quadratmeter der Miniwohnung reichen nicht mehr für die Bücher, die ich habe. Die Küchenregale platzen sowieso aus allen Nähten, aber Wohnfläche in der Stadt kostet mehr Geld als Wohnfläche am Land und in der Stadt wohnen ist teuer. Mein Kater ist im Gefängnis, kann Vögel nicht jagen, nur aus dem Fenster beobachten und es bricht mir manchmal das Herz.
Aber was ist die Alternative? Jobs am Land gibt es nicht, in der Stadt arbeiten werde ich wohl immer. Gibt es überhaupt eine Alternative zum Leben in der Stadt für mich? Ich wollte es doch immer so. In einen Wiener Vorort ziehen, wo ich Stunden des Tages mit Noch-weiter-weg-Pendeln zubringe? Für ein bisschen grün mehr um mich herum? Für ein bisschen weiches und kitzelndes Gras unter den geschwollen Asphalt-Füßen, wenn ich die Schuhe abstreife? Dafür hätte ich vielleicht ein Schwimmbecken zum Untertauchen? Aber auch Mitten in der Stadt bieten sich mir genug Möglichkeiten zum Eskapismus an, dazu bedarf es keines privaten Schwimmbeckens. Und ich träume weiterhin davon, wie viel friedlicher und grüner so ein Leben am Land ist.