„Laaaangweilig. Da passiert ja gar nix.“
Weil ja im Leben immer so viel passiert … Es ist schon traurig, wie sehr sich das Publikum von der Konfliktdichte von Hollywoodfilmen konditionieren ließ – von der externen, oberflächlichen wohlgemerkt. Wendy selbst würde wohl nicht behaupten, dass innerhalb dieser 80 Minuten nichts passiert. Auf ihrer Reise zu einem Job in Alaska strandet sie in einem Nirgendwo in Oregon: Erst ist das Auto kaputt, dann wird sie eingebuchtet, dann verschwindet ihr Hund, dann wird sie beinahe vergewaltigt (oder sonstwie angegriffen) und verliert neben ihrem fahrenden Untersatz und Zuhause auch noch ihre einzige Freundin für immer. Innerhalb von Wendy geschieht also eine Menge. Und wie sie diese Unglücke mit einer stoischen Enttäuschung im Gesicht erträgt, bricht mir vollständig das Herz. Sie ist es gewohnt, nichts Gutes zu erleben. Und trotzdem macht sie weiter, einen Schritt vor den anderen, und das so gefasst, dass es nicht heroisch wirkt. Aber jeder Tag, jede schlechte Nachricht, jeder Dollar weniger ist dennoch ein Kraftakt – während sie ganz allein auf der Welt ist und keinerlei soziales und finanzielles Netz hat. Selbst einer so herzallerliebsten Person wie Michelle Williams kann das passieren.
Und das alles erzählt Kelly Reichardt wieder in einem Transitraum, an einem Zwischenmoment – irgendwo zwischen der Entscheidung zu gehen und dem Ankommen. Denn dieser Weg dazwischen ist doch das, was am meisten Zeit frisst im Leben. Und er ist es, der letztendlich unsere Erfahrungswelt prägt und darüber bestimmt, ob wir die Welt und wie sie sich uns gegenüber verhält als gutmütig oder scheiße ungerecht wahrnehmen. Und auch die Verlierergeschichten kommen im Kino zu kurz.
Dies ist quasi der amerikanische Albtraum. Da macht man sich auf, um das Leben wenigstens minimal zu verbessern und dann ist alles ätzend. Zunächst mal jedenfalls. Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber so ist das Leben nun mal: eine Reihe von kleinen mühsamen Aufgaben und Unglücken, die man bewältigen, und beschissenen Kompromissen, mit denen man leben muss. Klar gibt es die großen schönen Momente, die guten Menschen. Aber die vielen kleinen Momente dazwischen sind harte Arbeit, auch wenn sie nach außen so unscheinbar erscheinen. Von A nach B zu kommen, das ist in der Regel kein hippie-esker, erfüllender Road-Trip, das ist Staus und Pannen und Umorganisieren.
Es ist ein anstrengender Film, ja, aber es ist auch so entspannend, einfach mal das normale Leben im Film zu sehen – als Momentaufnahme, aber auch als Spiegel eines ganzen Lebensgefühls, einer Gesellschaftsschicht, des desolaten wirtschaftlichen Zustands eines Landes, eines politischen Statements gegen Hollywood und einer Leistungsgesellschaft, die Flexibilität und harte Arbeit eben nicht automatisch belohnt, weil Pech und Zufälle und Chancen und der Charakter eine zu große Rolle spielen.
Wendy’s ordeal in the film is comprised of just a few days in a longer journey; but that short time slowly develops into systemic uncertainty with increasingly intense vulnerability to invasions by unknown others and explores the bitter circumstances involved in negotiating the mundane details of a marginalized life. (Bitch Flicks)
Wendy and Lucy
2008
Regie: Kelly Reichardt
Drehbuch: Jonathan Raymond, Kelly Reichardt
Schauspiel: Michelle Williams, Lucy, Wally Dalton
Kamera: Sam Levy
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