Nachdem die erste Staffel von der titelgebenden Affäre angetrieben wurde und die zweite von den Folgen der Trennung und den neuen Beziehungen, beginnt in der dritten Staffel von The Affair erneut eine neue Ära: das Absitzen einer Schuld und der reflektierte Umgang mit den eigenen Fehlern, das Nachjustieren alter Beziehungen und ein Fokussieren auf neue Möglichkeiten und Lebenswege. Die Staffel eröffnet so wieder ganze neue Schattierungen von Liebe, Abhängigkeiten und dem Umgang mit der eigenen Vergangenheit – bleibt dem Geist der Serie und ihrer düster-sehnsüchtigen Atmosphäre aber doch treu. Die einzelnen Folgen hängen schwer an einem. Selbst harmonische Momente zwischen den Figuren sind gezeichnet von vergangenen Verlusten und emotionalen Kämpfen.
Selbst- und Fremdwahrnehmung
Denn schließlich und endlich sind Menschen doch Inseln und es scheint ein Wunder, dass sie sich überhaupt zeitweise zusammenraufen können. Die multiperspektivische Erzählweise, die Episoden wechselnd und teilweise mehrfach aus den Blickwinkeln verschiedener Figuren schildert, wird noch effektiver eingesetzt als in den vorhergehenden Staffeln. Noah, Alison, Helen, Cole und nun auch Juliette, eine neue Bekannte Noahs, unterscheiden sich nicht nur in der Wahrnehmung und Interpretation von Geschehnissen voneinander, sondern auch darin, wie sie diese selektieren. Nicht nur erinnern die Figuren unterschiedlichen Momente und schenken ihnen damit Bedeutung (wobei mittlerweile unklar ist, ob die Szenen Erinnerungen oder gegenwärtige Wahrnehmungen darstellen, aber macht das letztendlich einen Unterschied?). Auch innerhalb von Szenen kommen wichtige Gesprächsfetzen (z.B. den Autounfall und damit Schuldbeteiligung betreffend) mal vor, mal werden sie ausgeblendet. Es bleibt unklar, was tatsächlich gesagt wird, was die Figuren nicht wahrnehmen wollen, was sie selbst hineinimaginieren. Nicht nur Informationsverteilung, also was den Figuren von anderen tatsächlich mitgeteilt wird, beeinflusst die Interpretation von Ereignissen und des gesamten eigenen Lebens, sondern auch, welche Informationen in Gesprächen überhaupt registriert und welche einem subjektiven Filterprozess zum Opfer fallen, obwohl sie relevant sind. Realität wird nicht von außen herangetragen, jeder schafft sie sich selbst. Und irgendwann darf am eigenen, über die Jahre sorgfältig entwickelten Selbstverständnis nicht mehr gerüttelt werden. Es benötigt mehrfache Bestätigung, bevor das eigene Weltbild angezweifelt wird.
Besonders Helen muss lernen, dass sich ihre Einschätzung von Noahs Charakter und Gefühlslage schon von Beginn an nicht mit der anderer und schon gar nicht mit seiner eigenen deckte. Man konstruiert sich eben selbst die Menschen in den engsten Beziehungen in ein kohärentes Bild – manchmal in den geliebten Menschen, den man gerade braucht, manchmal in ein Feindbild. Durch die eigene Vergangenheit und spezifische Ansprüche werden Auftreten und Taten individuell interpretiert. The Affair hat damit nicht vier Hauptfiguren, sondern vier mal vier. Jede subjektive Wahrnehmung erschafft einen Menschen neu. Die Serie ist eine Übung in Konstruktivismus. Die objektive Wahrheit besteht aus den stattfindenden Begegnungen, deren reine Existenz meist empirisch belegbar ist, die aber aus verschiedenen Perspektiven wiederholt werden. Deren Inhalte sind jedoch vollkommen subjektiv. Jede Figur erzählt sich ihre eigene Wahrheit. Und doch kommt alles zusammen in einem komplexen, trotz Widersprüchen nicht widersprüchlichen Konstrukt einer geteilten, leidensvollen Lebensrealität.
Schuld und Sühne
Zwar steckt jede dieser Figuren in ihrem eigenen Lebensgefängnis mit einem persönlichen Aufseher, einem Dämon, der sie für immer traktieren wird und mit dem sie ganz allein fertig werden muss. Dennoch teilen die vier eine Leidenserfahrung von Schuld und Reue. Sie alle haben etwas Unerträgliches erfahren, mit einem ungewissen Grad an eigener Schuldigkeit. Und deswegen ziehen sie sich immer wieder wie Magnete an. Sie verlieben sich nicht in Menschen, sondern in ein Spiegelbild, in die Hoffnung auf Verständnis. Ihre Vergangenheit und die Sehnsucht danach, Leid zu teilen, andere und sich selbst zu erlösen, machen sie füreinander attraktiv. Deswegen ist der Alzheimer ihres Mannes für Juliette umso schmerzhafter. Sie allein muss nun das ehemals geteilte Leid ihrer Beziehung tragen, weil er sich nicht daran erinnert.
Verstand und Gefühl
An Erlösung ist dennoch nicht zu denken. Wie Ertrinkende klammern sich die Figuren an ihre Schuld. Als würde sie sie von der Last befreien, glücklich werden zu müssen. Aber es bewahrt sie damit auch vor unklugen Entscheidungen und davor, den impulsiv ersehnten statt den für alle Beteiligten vernünftigsten Weg zu wählen. Wie erwachsen und logisch die Figuren besonders in dieser Staffel mit ihren komplizierten Beziehungen umgehen, ist unheimlich angenehm. Natürlich gibt es Dramen und Streit. Die Figuren handeln oft genug impulsiv (z.B. steht immer erst mal Sex vor dem entscheidenden Gespräch), aber die eigenen Handlungen, Beteiligungen an Situationen und wichtigen, zukünftigen Entscheidungen werden aus der Distanz reflektiert und vernünftig, versöhnlich, nicht rein egoistisch, aber sicherlich nicht ganz ohne Emotionen getroffen. In dieser Staffel wird die Vergangenheit verarbeitet, ja, durchgekaut, die eigene, wie die in Beziehung zu anderen.
Aber das Eindrucksvollste an dieser schweren, eindringlichen Serie sind immer noch diese mittlerweile fünf Menschen und das Wunder, dass alle Perspektiven, Einstellungen und Gefühle ausreichend Raum erhalten innerhalb der Staffeln, sodass alle mittlerweile fünf Hauptfiguren nachvollzogen werden können trotz ihres für Außenstehende extremen Verhaltens. Aber der Zuschauer ist hier eben kein Außenstehender. Er teilt das Erleben. Und damit ist The Affair auch eines der stärksten Argumente für das Format Serie. Filme können keine ausladenden Geschichten aus fünf Perspektiven erzählen und jede Hauptfigur mit einem so großen miterlebten emotionalen Ballast ausstatten, den man in jedem Moment in ihrem Gesicht ablesen kann, während sie durchs Leben navigieren, manchmal direkt auf die Klippen zu, dann wieder knapp mit Schrammen an ihnen vorbei. Es gibt hier keine eindeutige Lösung für Probleme. Jede Alternative zieht eine andere Form von Schmerz mit sich. Aber auch mit diesen Schmerzen kann man leben – irgendwie.
The Affair – Staffel 3
2016-2017
Kreation: Hagai Levi, Sarah Treem
Regie: Jeffrey Reiner, John Dahl, Agnieszka Holland
Drehbuch: Sarah Treem, Anya Epstein, David Henry Hwang, Stuart Zicherman, Sharr White, Alena Smith, Sarah Sutherland
Schauspiel: Dominic West, Ruth Wilson, Maura Tierney, Joshua Jackson, Irène Jacob, Catalina Sandino Moreno, Omar Metwally, Brendan Fraser
Kamera: Steven Fierberg, John Lindley, Joe Collins
Musik: Marcelo Zarvos
5 comments
Sehr schön geschrieben und analysiert. Mir fehlt nur noch eine Episode dieser Staffel, dann bin ich auch durch damit. Teils war mir die Serie in ihrem dritten Jahr zu schwer und zu träge, doch immer packend und schwer verdaubar, was ja nichts Negatives ist. Gerade die unterschiedlichen Perspektiven sind immer wieder ein Gewinn für dieses Erzählmedium, völlig richtig.
Danke schön. Ja, die Serie ist schon ein langer, schwerer, großer Brocken. Vielleicht auch ein bisschen zu verliebt in das lange Leiden ihrer Protagonist_innen. Aber ich mag das, dieses mühsame Kämpfen um das kleine und größere Glück. Gibt nicht viele Serien, die davon mit so viele Liebe zu ihren schwierigen Figuren erzählen.
Wow, tolle Beschreibung dieser Serie, die genau den Kern dessen erfasst, was mir an der Serie so gut gefällt. Am spaßigsten zeigt sich das ganze noch in der Kleiderwahl der Protagonisten, die von Perspektive zu Perspektive abweicht, auch wenn es sich um dieselbe Situation handelt. Das allein macht schon Spaß zu analysieren.
Vielen Dank!
Ja, das mit der Kleidung ist auch ganz witzig, manchmal ein bisschen zu plakativ, finde ich (wenn Noah die Frauen wieder halb nackt wahrnimmt), aber manchmal auch recht aussagekräftig. Ich erinnere mich, dass Noah in der letzten Folge in der eigenen Perspektive wesentlich künstlerisch-mondänere Klamotten anhatte als in Juliettes. Das sagt schon einiges über die Selbstwahrnehmung.
Ja, das ist mir auch aufgefallen. So wie überhaupt die Abweichungen zwischen Juliette und Noah interessant waren, wie die Gestaltung der Restaurants, das Buchgeschenk oder die Sexszene im Hausflur, die es bei Noah gar nicht gab.