Die Schöne und das Biest und Aristocats – das waren meine Lieblings-Disney-Zeichentrickfilme als Kind. Die beiden heute wieder zu sehen fühlt sich immer noch so vertraut an, als wären sie mir in Fleisch und Blut übergegangen. Selbst wenn manche Disney-Filme inhaltlich schlecht altern: Sie haben eine zeitlose Schönheit. Die Zeichnungen sind schließlich wie Bilderbücher, sie werden niemals alt. Die Liebe zum Detail und Mehrschichtigkeit der Bilder fehlt aber oft auf der Handlungsebene. Da wird grob über Hintergründe hinwegerzählt, Entscheidungen geschehen sprunghaft, die Logik ist manchmal nur für Kinder einleuchtend. Und das ist ein Makel, den dieser Trend der Realfilm-Remakes tatsächlich ausbügeln kann, ja, muss. Reale Menschen müssen komplexer dargestellt werden, mit glaubhafteren Motivationen, weniger überdreht, dafür im Kontext geerdet.
Beauty and the Beast ist die erste dieser Realverfilmungen, die ich gesehen habe, aber wenn die anderen ihr Original auf eine ebenso sinnvolle Art erweitern, dann haben sie ihre Daseinsberechtigung. Das neue Drehbuch füllt tatsächlich alle Lücken, die Kind-Lena nie aufgefallen sind, Erwachsene-Lena aber bei der Neusichtung des Originals gestört haben: Wo ist Belles Mutter? Warum ist Gaston wirklich so besessen von Belle, wenn er doch auch eine der hübschen Blonden haben kann? Warum schmeißt das Biest Belles Vater nicht einfach raus statt ihn einzusperren? Warum unternimmt Belle nicht sofort einen Fluchtversuch? Warum versucht sie es später nicht erneut? Wie bringt sie das Biest allein auf das Pferd? Ist das Biest von Grund auf böse oder nur schlecht erzogen? Wie kann sich Belle in einen Ungebildeten verlieben, wo sie doch einen Gleichgesinnten sucht? Auch Belle selbst, die wegen ihrer Bibliophilie schon immer beste Disney-Heldin, ergibt mehr Sinn und ist nicht mehr dieser Widerspruch zwischen dem Intellekt, den man ihr nachsagt, ihrem Büchergeschmack und kopflosen, aber mutigen Aktionen. Emma Watsons Belle ist in sich wesentlich konsistenter. Sie ist zwar die Schönste, wirkt aber unscheinbarer, introvertierter, tatsächlich intellektueller ohne vor Herausforderungen zurückzuschrecken. Diese unsichtbare Schwelle, die trotz der gemeinsamen Sehnsucht nach der großen weiten Welt immer zwischen mir und Belle stand, ist durch Emma Watson verschwunden. Sie ist auch durch ihre Vorbelastung als Streberheldin die ideale Besetzung.
Und so viel feingeistiger und auch fortschrittlicher feministisch Belle entwickelt wird (sie bringt einem Mädchen das Lesen bei), so erhält auch die Beziehung zum Biest eine intellektuellere Basis. Sie finden über Shakespeare zueinander. Sie verbringen zusammen Zeit in der Bibliothek und stimmen ihre Weltsicht mithilfe von Gedichten miteinander ab. Belle verliebt sich nicht in ihn, weil er eigentlich ja doch so ein lieber Kerl ist (oder weil sie insgeheim auf das Wilde, Ungezähmte steht), sondern weil er ihr geistig gerecht wird (anders als Gaston). Und auch das Biest findet nicht über ihre Schönheit zu Belle. Sie ist im Vergleich zur Gesellschaft, die er vor seiner Verwandlung bevorzugte, eigentlich viel zu unscheinbar. Sie fordert ihn vielmehr heraus und zeigt ihm eine neue (Gefühls)Welt. Generell steht Belles Schönheit weniger im Vordergrund als im Zeichentrickfilm. Gaston will sie hier nicht so sehr als Trophäe besitzen, er will sie vielmehr als wildes Tier einsperren und zähmen, indem er ihr unabhängiges Denken ausschaltet.
Gaston und das Biest sind trotzdem in beiden Versionen zwei Seiten derselben Medaille, zwei Formen aggressiver, dominanter Männlichkeit. Der Unterschied ist: Das Biest ist kein Sexist. Es ist ein antisozialer, schlecht erzogener Rüpel. Seine Aggression richtet sich nicht gegen Belle als Frau, sondern gegen die ganze Welt, sich selbst eingeschlossen. Es sperrt Leute ein, die ungebeten in sein Schloss eindringen, und brüllt sie an, wenn sie seine Privatsphäre missachten. Es behandelt Belle nicht aus Misogynie als Objekt, sondern weil es Bedürfnisse nicht verbal äußern kann. Seinen Bediensteten gegenüber zeigt es durchaus Vertrauen, was zumindest von potenziellem Respekt zeugt. Zudem bleibt Belle nach ihrem Fluchtversuch freiwillig und genießt das Abenteuer, das sie zu Beginn herbeisingt, ja im Grunde. Angst vorm Biest empfindet sie nur im ersten Moment. Diese Beziehung beweist also vor allem: Menschen sind therapierbar. Der schlaksige, ein wenig zu durchschnittliche Dan Stevens stellt sich hierbei sogar noch als treffende Besetzung heraus. Das ist kein sehniger Schönling, kein typischer Prince Charming, dem man beim ersten Anblick verfallen würde. Die Liebe ist hier auf beiden Seiten nicht selbstverständlich.
Gastons Geisteshaltung hingegen ist nicht psychologischer, sondern gesellschaftspolitischer Natur, daher nicht durch Verständnis oder Mitgefühl heilbar. Er ist ein misogynes, respektloses, privilegiertes Arschloch. Vielleicht kann man gerade die Hintergrundgeschichte des Biests im neuen Film als Entschuldigung verstehen, aber es besteht auch bereits in der Originalversion ein psychologischer Unterschied zwischen den beiden Männern. Gaston hat sich sein patriarchales Privileg als schöner, starker, weißer Mann einverleibt. Das Biest hat (abgesehen vom Geld) alle Privilegien verloren und muss lernen, damit umzugehen. Die Entwicklung geschieht ganz auf Seiten des männlichen Protagonisten und trotzdem ist es nicht seine Geschichte, sondern die einer jungen, sensiblen, selbstsicheren Frau, die nicht erst lernen muss, unter die Oberfläche zu blicken, und die durch Güte und Bildung als Mentorin ein Menschenleben ändert. Wobei die Frage bleibt, warum sich das Biest nicht in ein weniger normschönes Mädchen verlieben muss, um wirklich zu verinnerlichen, dass auch in anderen die innere Schönheit entscheidend ist. Die Herausforderung ist doch auf Belles Seite. Sie muss seine „harte Schale“ knacken, während er einfach so mit der schönen Frau belohnt wird. Nun ja. Dafür wird in der neuen Version Gastons Selbstüberschätzung gebrochen und lächerlicher gemacht, indem die Dorfbewohner bezahlt werden müssen, um über seine Vorzüge zu singen. Auch LeFou hat hier eine ironische, reflektierte Distanz zu seinem Kumpan.
Leider versetzt das Remake auch dadurch noch besser in die Rolle Belles, indem man jenseits der polierten Oberfläche des Films nach Qualitäten suchen muss. Beauty and the Beast von Bill Condon ist überladen unansehnlich. Die schaurig-gothische Atmosphäre und die elegant inszenierten Actionszenen des Originals werden erstickt von barockem Pomp, einem Dorf aus Pappe, kitsch-triefenden CGI-Landschaften und kostümhaft zusammengeschusterter Kleidung (wobei Belles blaues Kleid netten DIY-Charme hat). Selbst die lebenden Haushaltsgegenstände sind hässlich mit Details überladen, sodass ihre Menschlichkeit, ihr Charakter in minimale Regungen eingezwängt wird. Das Biest ist auch nur selten glaubwürdig real gepixelt, auch wenn Dan Stevens quirky Charme gut durchscheint. Die neuen Songs sind nicht schlecht, aber längst nicht so eingängig und nötig für Charaktere und Geschichte wie die herrlichen bestehenden, die ich allesamt liebe. Auch die alten Melodien der Filmmusik wurden unnötig auforchestriert, aber da weiterhin Alan Menken für die Musik verantwortlich war, sorgt diese wunderschön märchenhaft-schwelgende Melodie vom Beginn des Films noch oft genug für Gänsehaut. Und obwohl man mich eigentlich mit Balladen jagen kann, hat der neue Song des Biests, „Evermore“, einen schönen selbstbestätigenden Stolz.
Ein wichtiger Kritikpunkt bleibt aber: Belle will ausbrechen aus der Provinz und mehr vom Leben als nur Ehefrau zu sein. Aber beide Filme enden lediglich mit der harmonischen Zweisamkeit mit ihrem Prinzen. Wie will sie in einem Schloss im Wald die Welt kennen lernen und Abenteuer erleben? Wäre es nicht perfekt, wenn Belle im Schloss eine Mädchenschule einrichtet? Ich gebe zu: 100% feministisch ist der Film sicherlich nicht. Aber das muss ein Film zum Träumen auch nicht sein, finde ich. Ich würde ihn dennoch guten Gewissens jungen Mädchen weitergeben. Denn trotz einem unbefriedigenden Ende und einem fetischisierten visuellen Pomp lässt der neue Film die 26 Jahre alte Geschichte zu ihrer vollen inneren Schönheit aufblühen.
Beauty and the Beast
(dt.: Die Schöne und das Biest)
1991
Regie: Gary Trousdale, Kirk Wise
Drehbuch: Linda Woolverton
Schauspiel: Paige O’Hara, Robby Benson, Richard White, Jerry Orbach, David Ogden Stiers, Angela Lansbury
Art Director: Brian McEntee
Musik: Alan Menken
Beauty and the Beast
(dt.: Die Schöne und das Biest)
2017
Regie: Bill Condon
Drehbuch: Stephen Chbosky, Evan Spiliotopoulos
Schauspiel: Emma Watson, Dan Stevens, Luke Evans, Ewan McGregor, Ian McKellen, Emma Thompson
Kamera: Tobias A. Schliessler
Musik: Alan Menken
Bilder © The Walt Disney Company (Germany)
2 comments
Das klingt doch wirklich gut. Schön. Ich werde meine Tochter demnächst bestimmt einmal an das Original heranführen und dann später an die Realverfilmung. Freue mich darauf! 🙂
Klingt nach einem guten Plan. Auf dass daraus eine langjährige Filmfreundschaft entsteht.