Nicht nur Filme spielen in einem Paralleluniversum, auch die Menschen, die sie machen, scheinen sich eine andere Realität zu teilen, zu der Normalsterbliche nur begrenzt Zugang haben. Ihre Leben selbst sind Erzählungen, über die fleißig geurteilt wird. Und gemacht werden Filme auch meist in einem Universum weit, weit entfernt und zunehmend sowieso im Computer. Die geographischen Bezugspunkte in Filmen zur von der Zuschauerin selbst erlebbaren oder sogar schon erlebten Realität sind gering.
Bis plötzlich ein Hollywood-Film bei dir ums Eck gedreht wird. Mit einem deiner Lieblingsschauspieler. Die Burg Hohenzollern steht in der schwäbischen Provinz, etwa eine Autostunde von meinem jetzigen Wohnort entfernt. Sie hat mit ihren vielen kleinen Türmchen diesen romantischen Neuschwanstein-Flair, ist aber kleiner, gruftiger und damit perfekt für Gore Verbinskis anspielungsreichen surreal schwarz- (oder eher chlorgrün-)romantischen Thriller A Cure for Wellness. Im Film ist die Burg außerdem digital in die Schweiz versetzt (während die wenigen deutschsprachigen Figuren allerdings Hochdeutsch sprechen). Der Innenhof und die grünlich-weiß gefliesten Jugendstil-Saunen und -Bäder sind ein architektonischer Widerspruch. Nicht mal reale Orte sind im Film bindend. Atmosphäre ist wichtiger als Geographie. Aber egal: Ich war schon mal auf dieser Straße, die der verloren-sehnsüchtige Dane DeHaan da auf einem Vintage-Fahrrad runterbraust, sogar nur wenige Tage nach Ende des Drehs. Da ist eine winzige Schnittmenge, ein Tor zwischen den Welten, das unsere Lebensrealitäten verknüpft und den Film mit seinem Dreh. Unweigerlich stellt man sich vor, wie das Bürglein von Lkw mit Equipment, Wohnwagen für die Stars und Security belagert wurde, wie ein Hubschrauber die Panoramen aufnahm und ein Animator eine ziemlich unglaubwürdige Gebirgslandschaft in den Hintergrund pixelte. Die Suspension of Disbelief ist gestört, die Illusion wird entlarvt, es entsteht eine Distanz zur Fiktion. Dafür tritt aber ein heimeliges Wiedererkennen an die Stelle. Die Handlung wird unglaubwürdiger, der Film selbst aber sogar authentischer. Zwar kann ich mich nicht mit den konstruierten Figuren identifizieren, aber mit dem Ort. Ich bin Komplizin des Films und bin gleichzeitig klüger, weil ich seine Illusion mit einem einfachen, selbst geknipsten Foto überlisten kann.
A Cure for Wellness ist an visuellen Perlen aufgefädelt, an Einstellungen, die gleichzeitig ganz vertraut sind, weil sie Romantik- oder Schauerklischees sind (wie die fast nackten konservierten Menschen in ihren Wassertanks oder die ewigen Aale), aber mit modernen, surrealen Twists versehen sein sollen, wenn etwa die Kamera an einen Zug geschnallt mit in den Tunnel fährt. Die Handlung um den Yuppie, der in einem aus der Zeit gefallenen Schweizer Sanatorium gegen seinen Willen vom Übel des modernen Lebens gereinigt werden soll, während aber natürlich ein viel übleres Geheimnis die Einrichtung zusammenhält, hangelt sich nur an diesen visuellen Ankern entlang. Sie dient den Bildern statt sie anzutreiben. Auch der hybride Dane DeHaan wurde offensichtlich nur für sein schwächlich-anämisches Erscheinungsbild und die chlorblauen Augen für das grünlich gekachelte Schwimmbadsetting engagiert. Die Bilder sind trotzdem nicht schön, weil sie nämlich nichts bedeuten. Weder das Geld noch sonstige selbstzweckhafte, ausbeuterische Obsessionen erschaffen hier glaubhafte Monster. Dazu hat Gore Verbinski zu wenig Mitleid mit seinen Opfern. Bedeutung entsteht wie immer erst in der Zuschauerin, durch meine Lebensrealität mit einer Burg. Erst meine Realität macht die des Films wahrlich irreal.
A Cure for Wellness
2016
Regie: Gore Verbinski
Drehbuch: Justin Haythe
Schauspiel: Dane DeHaan, Jason Isaacs, Mia Goth
Kamera: Bojan Bazelli
Musik: Benjamin Wallfisch
Bilder © Lena Arndt / Twentieth Century Fox