„Und was machst du so?“
„Ich? Och, ich liebe Videospiele. Action-Adventure, oder Rollenspiele, aber keine MMORPGs. Lieber Singleplayer, und lieber Third Person als Egoperspektive.“
Eine Antwort, die einem als Mitt-/End-Dreißigerin in den meisten Fällen einen überraschten Gesichtsausdruck seines Gegenübers einbringt. MMO-was? Ego, okay, das kennt man ja aus den Medien, irgendetwas mit Egoshootern, meistens in Verbindung mit Killerspielen – und spätestens da schleicht sich ein wenig Distanz in das Verhalten des Gesprächspartners. Ist sie nicht etwas zu alt für den Kinderkram?
Es scheint eine Tatsache zu sein, dass Videospiele, auf Neudeutsch kurz „Games“ genannt, im Allgemeinen einen nicht sehr guten Ruf genießen. Spieler, Gamer oder Zocker, das sind Teenager mit Sozialproblemen, die stunden- und tagelang vor dem PC hocken, weil sie auf andere Weise keine Kontakte knüpfen können oder wollen. Und in einigen Fällen mag das durchaus stimmen.
Aber erwachsene Frauen? Sogar solche mit Beruf und Familie?
Ich kann nur von mir sprechen, aber ich habe mich in das Medium Spiele verliebt, da war ich gerade dem Teenageralter entwachsen. Mein erstes Spiel war Tomb Raider IV – ja, genau das mit der deutlich auf weibliche Attribute ausgelegten, englischen Lady, die mit zu knappen Shorts durch antike Ruinen klettert und sich dabei Schießduelle mit Tigern und bösen Buben liefert. Obwohl die Grafik nach heutigen Maßstäben recht augenkrebslastig war, zogen mich die Atmosphäre und der gewitzte Charakter der Hauptfigur in ihren Bann. Das war nicht mehr nur ein Film, dem man passiv zusah, nein, man konnte selbst steuern, mal rasanter und mal langsamer und das Panorama genießend vorgehen, sofern es das Spiel erlaubte.
In den letzten siebzehn Jahren ist die Entwicklung beinahe kometenhaft fortgeschritten; mit jedem Jahr wurden Spiele reicher an Details, Realismus und charakterlicher Vielschichtigkeit. Kleine Musikscores wichen großen, orchestralen Soundtracks, und für visuelle Panoramen gibt es nur noch ein Limit: die Fantasie der Produzenten. Ganz gleich, ob es sich um eine Welt handelt, in der durch ein fehlgeschlagenes Experiment die Zeit zerstört wurde, prachtvolle, chlorophyllüberbordende Landschaften mit umherziehenden Dinosauriern, gänzlich fremde Planeten in unbekannten Galaxien oder eine verkleinerte, aber originalgetreue Kopie vom Florenz des fünfzehnten Jahrhunderts oder dem alten Ägypten … Machbar ist inzwischen alles.
Längst müssen sich AAA-Spiele nicht mehr hinter Film-Blockbustern verstecken – mit dem einen Unterschied, dass man sich in ihren Szenenbildern mehr oder weniger frei bewegen kann. Das richtige Spiel-Genre vorausgesetzt, steht es einem offen, der große Held zu sein, oder das fiese Arschloch. Man kann die Figuren in seiner Entourage fördern oder opfern, eine Liebesbeziehung forcieren oder sie so weit vergraulen, dass sie der Gruppe den Rücken kehren. In einigen Spielen kommt es stark auf das eigene Verhalten (bzw. das des Helden) an, welches Ende auf einen wartet. Bleibt man der strahlende Held? Verliert man seine große Liebe? Stirbt man gar?
Für mich hat das immer den besonderen Reiz des Spielens ausgemacht. Die Optik eines Films zu haben (und ich bin sicher, nicht mehr lange und man kann sie wirklich nicht mehr von realen Settings unterscheiden), und dazu die Interaktivität, die Möglichkeit, die Geschichte zu formen und zu gestalten und so deutlich unmittelbarer zu erleben. Wenn der Protagonist stirbt, dann nur, weil man ihn nicht gut genug gesteuert und falsche Entscheidungen getroffen hat. Wenn er im Kampf gewinnt, dann nur, weil man teilweise lange und ausdauernd darauf hingearbeitet hat.
Ich habe tatsächlich am Ende von Spielen geweint. Ich habe viel gelacht. Gestaunt. War hibbelig vor Nervosität. Ich saß mit einem Bauch voller Schmetterlinge auf der Couch, als mein Spielheld das erste mal den Kopf drehte und mich direkt ansah, durch die vierte Wand hindurch. Ich habe eine Figur auf die Welt kommen gesehen, ihr Leben verfolgt und sie einige Teile später beim Sterben begleitet.
Diese Gefühlswelt, das eigene Streben und Sterben und Überwinden, der Stolz und die Rührung, das Hoffen und Bangen mit den selbst gesteuerten und ausgebildeten Figuren, trägt zur Einzigartigkeit des Erlebens von Computerspielen bei.
Ich denke, es ist höchste Zeit, dass man sie in den Köpfen auch unbeteiligter Menschen aus der Nerd-Ecke holt und vom Gehemmter-Teenager-Image befreit, ganz so, wie es dem Fantasygenre durch Serien wie Game Of Thrones gelungen ist, salonfähig zu werden.
Aber ich habe Hoffnung. In Zeiten, in denen eine Bundeskanzlerin eine Spielemesse eröffnet, und Videospiele immer offizieller den Status des Kulturguts zuerkannt bekommen, wird vielleicht auch bald der Letzte begriffen haben, dass sie nur eine weitere, kunstvoll-kreative Art sind, seine Freizeit zu gestalten.