Die Struktur
Was mich am schnellsten gelangweilt hat, ist die typische Struktur dieser Plots: Alltag, Einbruch des Bösen, Erkennen und Verstehen des Bösen, Bekämpfen des Bösen, Sieg oder Niederlage. Es gibt sicher auch Horrorfilme, die anders, komplexer funktionieren, vielleicht gerade Fortsetzungen oder solche, die aus der Sicht des Killers erzählt sind (sollte es diese geben). Aber bei meiner Auswahl war diese Struktur schon vorherrschend. Nur bei David Lynch (Eraserhead) gibt es natürlich keinen Alltag, dort ist die Welt bereits von Anfang an seltsam und verloren.
Die Bedeutung
Durch diese Struktur erscheinen diese Filme auch relativ simpel und sofort zugänglich. Manche sind in ihrer Symbolik etwas rätselhafter als andere (Don’t Look Now, The Shining, Videodrome), aber sie alle leben vor allem von ihrer spannenden, beunruhigenden oder surrealen Atmosphäre. Es ist eben Affektkino. Und wenn dann ein Film wie The Texas Chain Saw Massacre hintenraus reiner Terror sein soll (wie mir meine Twitter-Timeline erzählte), ohne dabei etwas über Terror auszusagen, dann kann ich nichts daraus mitnehmen. Und mir persönlich gibt es keinen Kick, mühsam zu interpretieren, für was der Menschenmetzger oder das Monster aus dem All kulturhistorisch oder soziopolitisch stehen könnte. Ich bin sicher, all diese Filme funktionieren gerade wegen ihrer Bedeutungsoffenheit auch auf zahlreichen kritischen Subebenen, aber ich möchte doch wenigstens andeutungsweise im Film selbst erkennen, was er zu bedeuten hat. Komisch eigentlich, aber mir ist das alles zu abstrakt.
Die Opfer
Sind in den meisten Fällen Frauen (interessanterweise änderte sich das bei meiner Auswahl ab den 80ern). Dadurch können sie sich zwar als Heldinnen etablieren, indem sie geistige und körperliche Taktiken unter Beweis stellen. Einige der hartnäckigsten Filmheldinnen sind sicherlich im Horrorfilm zu finden. Aber die Filme schlagen ihr Kapital dadurch natürlich aus dem Entsetzen, dem Leiden, der Traumatisierung des „schwachen Geschlechts“, das vielleicht durch diese scheinbare Schwäche das attraktivere Opfer abgibt. Das spiegelt zwar die Realität, stellt Frauen dennoch unnötig als Beute dar.
Die Gruppendynamik
Interessant sind in diesen Filmen leider weniger die Täter, die meist als reine Maske erscheinen, als Tötungsmaschine ohne ausgearbeitete Motivation, sondern die Opfer und wie sie sich in dieser Ausnahmesituation verhalten, wie sie über sich hinauswachsen, die eigenen moralischen Grenzen austesten. Was ist noch Notwehr? Wo ist die Grenze zum Bösen überschritten? Reflektiert werden diese Fragen nicht wirklich, weil hinterher ja doch die Welt entweder wieder hergestellt ist oder für immer verloren. Aber noch interessanter sind eigentlich Opfergruppen, die sich in Angst und Gegenwehr zusammenraufen müssen (Night of the Living Dead, The Thing, The Mist), wodurch Gruppendynamiken entstehen, in denen sich (der Spannung wegen) eigene Fronten von Gut und Böse entwickeln. Das endet meist recht plakativ, indem eine Seite völlig abdreht, aber der Weg dorthin zeichnet interessante Autoritäts- und Vertrauensverschiebungen.
Die Musik
Eine positive Überraschung war oftmals die Musik. Denn anders als bei weniger angriffslustigen Filmen, die immer noch zu oft einen anschmiegsamen, dahintröpfelnden Score verpasst bekommen, soll die Musik in Horrorfilmen herausfordern, beunruhigen, zwicken und ärgern. Man denke nur an Bernard Herrmanns einprägsames Streicher-Kreischen in Psycho. Andere Filme setzen verzerrende elektronische Klänge ein. Ganz besonders hervorheben muss ich die Wahnsinnsmusik von Goblin in Suspiria, die erst mit Glockenspiel einlullt, dann in einen unwirklichen Synthesizer-Strudel reißt und generell in jeder Minute anders klingt.
Das kulturelle Gedächtnis
Dass die meisten Filme mich so wenig beeindruckt haben, liegt, glaube ich, daran, dass diese Killer, bestimmte Szenen und eben die Plotstruktur der bekanntesten Horrorfilme bereits so sehr im kulturellen Gedächtnis verankert sind, dass sie mich schlicht und einfach nicht mehr überraschen konnten. Selbst Cronenbergs grotesker Videodrome war eben genau der Körperhorror, den ich erwartet hatte. Das Bild des Videocassettenschlitzes im Bauch hat man schließlich schon tausendmal gesehen. Das ist nicht die Schuld dieser Filme, denn zum Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung waren sie sicherlich alle revolutionär. Vielleicht spricht die Ikonisierung vieler ihrer Bilder auch für sie, aber hervortun konnten sich für mich dabei doch eher die Filme, die mich überraschten, weil ich nichts über sie wusste oder weil sie einen unterwarteten Dreh an den Tag legten.
Die Lieblinge
Abgesehen von meinen langjährigen Lieblingen Psycho und The Shining, habe ich also keine neue Lieblingsfilme gewonnen. Aber ich muss zugeben: Irgendwas hatte jeder dieser Filme – sei es deutliche Sozialkritik, faszinierend gestaltete und animierte Monster, interessante Held_innenentwicklungen, eine spannende oder surreale Atmosphäre. Die Kanonisierung von Filmen passiert ja nicht ohne Grund. Rankings lehne ich ab, aber ich verrate euch die drei Filme, die mich am positivsten überrascht haben und die ich mir durchaus in Zukunft mal wieder ansehen würde:
- Night of the Living Dead – wegen der Sozialkritik – dieses Ende!
- Suspiria – wegen der traumhaften Farbgestaltung und der Musik
- The Hitcher – wegen der nervenzerrenden, verqueren Heldenentwicklung
Der Kontext
Die fabulöse Serie Mindhunter , die ich zwischendurch einschob, machte mir dann vollends bewusst, warum ich Horrofilme nicht mag: Ich will wissen, wie das Böse in die Welt kam und wer danach aufräumt. Ich will es verstehen, ich will ihm nicht beim Töten zusehen. Mir einfach nur Morde anzusehen, ohne sie einigermaßen deutlich in einen psychologischen, sozialen, historischen Kontext einzubetten, gibt mir nichts. Gewalt im Film ohne Kommentar zu dieser Gewalt finde ich nicht richtig. Ich behaupte nicht, dass Filmemacher als Künstler eine moralische Verantwortung haben. Aber ich schaue Filme auch nicht nur als Medienwissenschaftlerin, sondern als Mensch und dieser Mensch will keine unreflektierte Gewalt sehen. Das ist meine Entscheidung, meine Perspektive. Ich schreibe anderen nicht vor, welche Filme sie zu sehen haben und wie, aber den Reiz von Filmen wie The Texas Chain Saw Massacre, (aus dem ich, im Gegensatz zu allen anderen Filmen, rein gar nichts Positives ziehen konnte), werde ich nie verstehen und das muss ich auch nicht. Ich habe es versucht, das muss reichen. Brogan Morris erklärt in einer Kritik zu Mindhunter, die auch gleichzeitig David Finchers Karriere nachzeichnet, recht gut, worauf es mir ankommt: „As the director has shifted away from straight horror into drama, he has transformed from a storyteller playing on our fears to one who seeks to understand what makes us afraid and help us fear no more.“
Das Projekt
Aber es ist eine schöne Aktion – zusammen mit anderen und doch unabhängig und nach eigenem Geschmack Filme zu schauen, etwas zu teilen und dabei trotzdem sein eigenes Ding durchzuziehen. Außerdem habe ich schon sehr lange nicht mehr so viele Filme in so kurzer Zeit gesehen. Es ist erstaunlich, wie sehr mich so eine kleine, überschaubare Liste motiviert hat. Vielleicht sollte ich so etwas öfter machen: mir jeden Monat fünf bis zehn Filme zu einem Thema (sei es inhaltlich, filmhistorisch, personal- oder technikspezifisch) vornehmen. 20 sind zu viel, das habe ich durch die Ermüdung gemerkt. Dennoch habe ich es vermisst, etwas über das Medium zu lernen, indem ich Filme miteinander vergleichen kann.
Die Zukunft
Nein, ich bin nicht auf den Geschmack gekommen. Ich bin froh, dass ich diese Meilensteine der Filmgeschichte nun kenne, werde mir aber auch in Zukunft keine Filme antun, die ausschließlich den Horroraffekt bedienen. Aber ich werde wieder beim Horrorctober mitmachen – und zwar mit einem Nischenthema, das ins Horrorgenre hineinragt: Vampire. Die fand ich schon immer faszinierend. Und der Horrorctober 2018 wird mir Anlass geben, endlich aufzusaugen, was schon seit Jahren geduldig in den Schatten meiner Watchlist lauert. Ich freue mich schon.
5 comments
Man muss aber ja fairerweise schon sagen, dass eigentlich jedes Genre in den meisten Fällen einer vorgegebenen Struktur folgt. Ich bin jetzt auch nicht der Über-Horror-Verfechter und finde die Filme meist eher langweilig. Aber ein gut gemachter Film bleibt ja ein gut gemachter Film. Aber so ganz abgeneigt scheinst du ja insgesamt auch nicht zu sein. Zudem hast du dir auch glücklicherweise die eher guten Vertreter des Genres rausgepickt. Beim Bodensatz – und der ist gerade im Horror gewaltig – tun sich da erst die richtigen Abgründe auf und es wird richtig anstrengend.
Nebenbei: Mittlerweile gibt es mehrere Aktionen wie diese. Als nächstes wohl der #Japanuary mit 8 japanischen Filmen im Januar. Und für März ist auch schon irgendwas geplant. Muss man natürlich nicht überall mitmachen (was ich auch nicht tue), aber vielleicht ist ja was für dich dabei in den nächsten Monaten, um deinen Filmkonsum aufrecht zu erhalten.
Ich denke, das kommt aufs Genre an. Horrorfilme werden auch gerade durch diese Struktur definiert. Wenn eher eine Zeit und Ort das Genre definieren (wie beim Western), gibt es vielfältigere Plots. Wobei natürlich die allermeisten Geschichten grundsätzlich nach dem Prinzip aufgebaut sind, dass die Figuren irgendeine Aufgabe lösen müssen. Bei Horrorfilmen ist dieses Prinzip nur besonders deutlich.
Das fürchte ich eben auch: Sobald ich den Klassikerpfad verlasse, finde ich vielleicht nicht mehr so viel Positives.
Ja, danke, vom Japanuary habe ich schon gelesen. Lässt sich gut mit meinen ewig währenden Animationsfilmprojekt vereinen. Entscheide ich aber erst im Dezember.
Keine Frage. Die „Kunst“ liegt natürlich darin, diese Strukturen aufzubrechen. Da gibt es auch im Horror sicher Beispiele wie in jedem anderen Genre. Ob die aber zwangsläufig besser sind, steht dann wieder auf einem anderen Blatt. Strukturen setzen sich ja auch nicht grundlos durch.
Ich bin gerade eher zufällig über deine Reflexion gestolpert, denn ich klicke normalerweise bei dem Wort „Horror“ gleich weg, aber ich finde deinen Beitrag und deine Analyse echt spannend. Gerade, weil ich selbst so gut wie nie Horrorfilme gucke.
Ich denke, es geht mir da so wie dir: Ich will nicht einfach nur böse, mordende Menschen sehen. Ich will wissen, was dahintersteckt. Was diese Menschen „böse“ macht. Und wie man mit solchen Menschen und auch ihren Opfern umgeht. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mich mehr für Kriminalpsychologie erwärmen kann als für Horror.
Oh, das freut mich, dass du trotz Horroraversion weitergelesen hast. Dann habe ich ja etwas richtig gemacht.
Ganz genau: Die Psychologie dahinter interessiert mich mehr. Und auch, wie es mit den Opfern weitergeht, wie sie ihr Trauma verarbeiten können. Aber zum Glück gibt es ja auch in dieser Richtung genug Filme, sodass man gut durchs Leben kommt ohne je einen Horrorfilm sehen zu müssen.