Mindhunter ist spektakulär – indem es völlig unspektakulär ist. Keine Arschloch-Cops und saufende Einzelgänger mit überragender Intelligenz. Keine Hetzjagden und kruden Symbole und Puzzle, die den Weg zu den Mördern pflastern. Kein sensationalistisches Ausbeuten von Tatorten und Opfern. Keine Gewalt – nur in den Köpfen der Mörder, wo sie beginnt. Es schreien nicht mal Klamotten und Einrichtungen laut die Epoche, die 70er. Es ist weniger (aber auch) ein Whodunit, sondern ein Whydunit und ein Whosnexttodoit.
Das Krimi-Korrektiv
Mindhunter ist zunächst vor allem interessant als Gegenbeispiel zu all den eingespielten gritty Ermittler-Geschichten, in denen nicht nur die Bösen schlecht sind, sondern auch die Cops und die ganze Welt um sie herum. Mindhunter fährt dagegen absolute Durchschnittlichkeit auf: Agenten ohne traumatische Vergangenheit, die ihre Frauen respektieren (!) und sich nicht permanent ankeifen, sondern nett zueinander sind, auch wenn sie die Ideen des anderen nicht auf Anhieb unterstützen. Auseinandersetzungen sind Projektionsfläche für Ideen und Basis für Verständnis und Weiterentwicklung. Es ist sogar Humor involviert, ein ganz kleiner zarter, aber ein menschlicher (wenn der Held die Idee in den Kopf gepflanzt bekommt, dass er aus seinem Plan ein Buch machen könnte und er staunend groß BOOK auf seinen Notizblock schreibt). Die Atmosphäre ist in gedeckten, entsättigten Faren gehalten, aber zeigt keine trostlos verlorene Welt, sondern eine Welt durch den Schleier von FBI-Augen. Selbst die Serienkiller, die von den beiden FBI-Agenten interviewt werden, um diese neue Art Verbrecher verstehen zu lernen, um schließlich das Profiling zu erfinden, zeigen keinen funkelnden Lecterschen Wahnsinn in ihren Augen, wenn sie von ihren Taten erzählen, sondern entweder furchterregende Sachlichkeit oder abgeklärt-sadistische Langeweile.
Ja, Mindhunter funktioniert zunächst mal als Korrektiv, als Ermittlershow, die Hirn und Herz atmen lässt statt sie mit nihilistischem Gelaber und Traumata auf Heldenseite zu ersticken. Dabei wird ja geredet, eigentlich passiert nichts anderes. Und keiner dieser Dialoge ist verschenkt. Sie alle sind mehr oder weniger eine Übung in Manipulation und Überzeugung, das Bemühen, einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu finden und von dort unbetretenes Terrain zu erkunden. Das geschieht auf FBI-Seite, wenn die Partner und Vorgesetzten erst mal von der bahnbrechenden Idee, dass „geborene böse“ Menschen hilfreiche Informationen bieten können, überzeugt werden müssen. Aber natürlich auch in den Gesprächen zwischen Ermittler und Killer. Es ist stets die Frage, wer wen manipuliert, wer wem ein Geständnis entlockt und wie wahr dieses ist.
Die Logik des Killers
Es ist im Prinzip eine Serie über Identität, über Schauspiel und die Hinweise, dieses zu durchschauen und zu den wahren Intentionen vorzudringen. Menschen tragen eine Maske, die anhand scheinbar nebensächlicher Indizien geknackt werden muss, um den Mörder oder Kinderschänder zu offenbaren. Es gilt, die Hinweise, die Lebenssituation, die kleinen Verhaltensabweichungen, die Auslöser, die Denkmuster und Logiken lesen zu lernen – und sie selbst einzusetzen. Wie der Titel verrät: Die Ermittler jagen keine Mörder, sondern die versteckten Ecken des menschlichen Geistes.
Folter ist eine Art, sich auf das Niveau der Täter herabzulassen, um sie unschädlich zu machen, Holden aber verwendet „nur“ die gleiche Sprache und misogynen Denkmuster. Ist es lauter, sich auf das Terrain des Bösen zu begeben, um sie aus diesem Terrain rauszulocken und hinter Gitter zu stecken? Und ist es möglich, währenddessen auf der Seite des Guten zu bleiben? Diese Denkmuster sind wie ein Virus, der sich einpflanzt und nur schwer ausgerupft werden kann. Mindhunter packt Misogynie bei der Wurzel einer gekränkten Maskulinität ohne sich daran zu ergötzen. Alle hier dargestellten Mörder und Vergewaltiger fühlen sich durch die Demütigungen in ihrer Kindheit nicht in ihrer Menschlichkeit verletzt, sondern in ihrer Männlichkeit und Potenz bedroht, die sie dann durch Objektifizierung und Besitz von Frauenkörpern wieder herstellen müssen. Natürlich bietet Mindhunter kein Gegenmittel gegen Misogynie und Gewalt, dafür aber die Erkenntnis, dass es nicht reicht zu verurteilen, dass ein Stempel und nachträgliche Ausrottung nicht die Lösung sind. Gewalt und Traumatisierung (auch der Mörder selbst) sind in einem Kontext verankert, dem System, der Gesellschaft, (fehlenden) Bindungen in der Kindheit. Sie können nur verhindert werden, wenn sie erklärbar sind, sodass ein Frühwarnsystem entwickeln kann. Man fragt sich, warum es heute, 40 Jahre später, immer noch nicht fruchtet.
Mindhunter – Staffel 1
2017
Kreation: Joe Penhall
Regie: David Fincher, Andrew Douglas, Asif Kapadia, Tobias Lindholm
Drehbuch: John Douglas, Mark Olshaker, Jennifer Haley, Erin Levy, Tobias Lindholm, Dominic Orlando, Ruby Rae Spiegel, Carly Wray
Schauspiel: Jonathan Groff, Holt McCallany, Anna Torv, Hannah Gross, Cotter Smith, Cameron Britton
Kamera: Erik Messerschmidt, Christopher Probst
Musik: Jason Hill
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[…] Staffel 1 (angenehm ruhig und angenehm anders – die Medienmaedchen haben das hier sehr schön […]