Ich habe ein Problem: Ich lese nicht mehr. Schon seit Jahren. Dabei bin ich sicher, dass sich das mit der richtigen Lektüre beheben lässt.
Lasst mich ausholen: Wo andere schon mit der Nase in Büchern geboren wurden, kam ich relativ spät zu meiner Leseleidenschaft, etwa mit 11 – via Wolfgang und Heike Hohlbein und Michael Ende. Dafür verschlang ich die nächsten elf Jahre Bücher aller Art, zunächst die Vampirbücher von Anne Rice, dann John Grisham und Susan E. Hinton, schließlich William Shakespeare, Virginia Woolf und Samuel Beckett. Dort war ich angekommen. Ich studierte Anglistik, musste für Seminare teilweise ein Buch pro Woche lesen, von der hundertfachen Sekundärliteratur gar nicht zu reden. 2010 schloss ich das Studium ab, freute mich, meine Lektüre endlich wieder nach meinem eigenen Belieben auswählen zu können – und hörte auf zu lesen (siehe Phase 6). Nicht komplett. Eine Handvoll Bücher kommen pro Jahr schon zusammen, aber es ist sehr viel mühsamer als zuvor. Ich lese nicht mehr gerne, ich muss mich geradezu zwingen. Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt: Am Internet und der verminderten Konzentrationsfähigkeit? An der Serienleidenschaft, die seither dazugekommen ist? An mangelnder intellektueller Aufnahmefähigkeit nach Abschluss des Studiums? Ich beginne Bücher, quäle mich, verschiebe sie auf später, beginne neue Bücher … Selbst von meiner literarischen Seelenverwandten, Virginia Woolf, halte ich kein Buch mehr durch.
Aber es gibt Ausnahmen: Etwa einmal pro Jahr kommt mir ein Buch unter, das ich beinahe verschlinge, das ich tatsächlich den leichter zu konsumierenden Serien vorziehe. Die letzten dieser Art waren North and South, Revolutionary Road und momentan Possession. Vielleicht lese ich also einfach nur die falschen Bücher. Vielleicht sollte ich aufhören, mich zu Klassikern zu zwingen und einsehen, dass diese Zeit vorbei ist, dass mein intellektueller Höhepunkt hinter mir liegt (hey, ich habe einst Ulysses sogar zweimal gelesen!). Ich würde die Musils und Manns in meinem Regal wirklich gerne endlich gelesen haben, aber ist die wochenlange Quälerei das wert? Warum nicht lieber Leichteres wählen, damit ich wenigstens überhaupt lese?
Das bringt mich zu meinem Dilemma: Ja, ich könnte anfangen, Literatur zu lesen, die Spaß macht, durch die man leicht hindurchgleitet, die keine Herausforderung ist, bei der nicht jeder Satz ein metaphorisches Labyrinth ist. Aber solche Literatur befriedigt mich nicht. Ja, ein Shakespeare-Stück ist ein Kampf. Dafür nehme ich daraus aber auch etwas mit – Erkenntnisse über mich, eine Epoche, den Menschen, die Literatur, die Sprache oder wenigstens die Befriedigung, sich ein weiteres Kulturdenkmal einverleibt zu haben und die Referenzen daran nun zu verstehen. Der Leseprozess ist unschön, das Gefühl danach aber ungleich besser als bei Unterhaltungsliteratur. Dennoch ist mir die Hürde momentan einfach zu groß.
Und Bücher wie North and South und Revolutionary Road, die mir beides bieten – Lese- und Langzeitbefriedigung – die gibt es nicht wie Sand am Meer. Meist erkennt man solche Bücher sowieso erst ab der Hälfte, wenn sie so richtig Fahrt gewinnen, und ich lese noch zu allem Übel sehr, sehr, sehr langsam. Das macht es nicht leichter, aber ich habe mich damit abgefunden, dass ich das Gefühl brauche, jeden Satz gewissenhaft aufgenommen zu haben, um ein Buch würdigen zu können.
Was also tun? Ich habe Folgendes entschieden: Ich wechsle ab zwischen Wasserrutsch- und Bergsteigerliteratur oder lese sogar parallel – für jedes Buch, durch das ich leicht hindurchflutsche, lese ich eines, bei dem ich mich anstrengen muss (aber dann auch ein tollen Ausblick habe). Dafür darf die Wasserrutschliteratur dann auch wirklich nahezu Guilty Pleasure sein.
Wo wir beim nächsten Problem wären: Was ist meine Guilty-Pleasure-Literatur? Was habe ich mir immer verboten zu lesen, weil ich doch eigentlich Wichtigeres lesen müsste? Ich mag düstere Liebesgeschichten (besonders im viktorianischen Zeitalter), Mythologie, verzweifelnde psychologische Herausforderungen, komplexe Frauenfiguren, innere statt äußere Handlung, Gedanken statt Dialoge, exakte, bildhafte, sinnliche, aber nicht schwülstige Sprache. Das ist die größte Herausforderung: Leicht lesbare, spannende, dennoch hintergründige und vor allem beinahe poetisch geformte Literatur zu finden. Ich habe hohe Ansprüche an die Sprache, die Atmosphäre und die Reflexionsfähigkeit eines Buches, auch bei Unterhaltungsliteratur (Virginia Woolf bleibt trotz allem der Maßstab).
Vielleicht könnt ihr mir ja helfen: Fallen euch Bücher ein, die zu meinen Ansprüchen passen? Zu welchem Genre würdet ihr mir raten? High Fantasy, Thriller, erotische Literatur? Was sind eure liebsten Guilty-Pleasure-Romane oder auch flüssig zu lesenden Klassiker?
4 comments
„Troll: Eine Liebesgeschichte“ von Johanna Sinisalo könnte deinen Ansprüchen in vielen, vielleicht sogar allen, Punkten genügen.
Aha, das klingt nach der Inhaltsangabe zwar nicht so danach, aber ich will ja eben Neues entdecken und gebe ihm gerne eine Chance. Danke für den Tipp.
Na na, wir wollen ja nicht nach irgendeiner nach Marketingzwecken geschriebenen Inhaltsangabe gehen, oder? 😉
Um Himmels willen, Inhaltsangaben sind überbewertet.