Wonder Woman ist zweifellos die bekannteste Superheldin. Wer ein Wonder-Woman-Shirt überzieht, trägt ein Symbol weiblicher Stärke und Unabhängigkeit vor sich her. Trotzdem war mir bis vor Kurzem nicht klar, wer sie eigentlich ist, was sie kann, wofür sie als Figur einsteht. In der Populärkultur (derjenigen, die keine Comics liest) ist sie eben nur als Symbol vertreten, nicht als handelnde Figur in ihrer eigenen fiktiven Welt. Und weil man nicht so völlig ahnungslos in den (aus Medienmädchensicht) spektakulärsten Blockbuster des Jahres, ach was, Jahrzehnts stolpern kann, las ich erst mal ein Buch (und zwar Wonder Woman Unbound* von Tim Hanley) und staunte nicht schlecht:
Tatsächlich begann Wonder Woman ihre Comic-Karriere als Feministin, blieb es aber nicht. Dennoch spiegelt ihre Entwicklung auch die Rolle der Frau in der amerikanischen Gesellschaft, gerade Mitte des 20. Jahrhunderts – indem sie sie entweder selbst repräsentierte oder dagegen ankämpfte, von der Domestizierung in den 50ern bis zur aktivistischen Frauenbewegung in den 70ern. Ihre Geschichte ist keine konsequente, sondern eine voller Höhen und Tiefen, aber gerade das macht sie auch so komplex und wichtig als Repräsentationsfigur.
Und für all jene, die ebenfalls völlig ahnungslos sind: Keine Bange, Hilfe naht, Media Girl ist zur Stelle! Hier (aus Hanleys Analyse extrahiert) die 10 interessantesten Dinge, die ihr schon immer über Wonder Woman wissen wolltet, aber bisher nicht zu fragen wagtet:
1. Nicht die Erste
Wonder Woman tauchte zuerst 1941 in einem Ensemble-Comic auf und war damit nicht die erste kostümierte Comic-Heldin. Die Woman in Red, eine Polizistin in Mantel und Maske, jagte bereit 1940 Verbrecher. Und es gab weitere, doch stets sehr kurzlebige Comic-Heldinnen, während Wonder Woman ein sofortiger Erfolg war und weniger als ein Jahr nach ihrem Einstand ihre eigene Reihe erhielt. Diese verkaufte sich sogar zeitweise besser als Superman. Frauen in Comicbüchern waren vor Wonder Woman allerdings in der Regel entweder Love Interest oder Schurkin. Wonder Woman brach mit dieser Good-Girl-Bad-Girl-Binarität und stellte Merkmale, die vorher von Bad Girls besetzt waren, wie Stärke, Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein, in ein positives Licht. Sie zerstörte die typischen Geschlechterrollen und kritisierte sie dadurch.
2. Die Welt wartet auf das Matriarchat
Wonder Womans Schöpfer William Moulton Marston war Psychologe, Miterfinder des Lügendetektortests und außerdem davon überzeugt, dass Frauen Männern biologisch und psychologisch überlegen seien. Nur Frauen können die Welt friedlich regieren, während das Patriarchat auf Aggression aufbaue und automatisch Gewalt und Kriege hervorbringe. So basiert Wonder Womans Origin Story auf einer feministischen Utopie: Nachdem die Amazonen aus Hercules‘ Gefangenschaft entkommen, entsagen sie der aggressiven Männerwelt und ziehen sich auf einer Insel, Paradise Island, zurück. Männer müssen draußen bleiben. Die Amazonenkönigin, Hippolyte, formt aus Lehm ein Baby, das von den Göttern zum Leben erweckt wird: Diana. Als während des Zweiten Weltkriegs Steve Trevor, ein amerikanischer Kampfpilot, auf Paradise Island abstürzt, bringt Diana ihn zurück nach Amerika, um das Land im Krieg zu unterstützen. Unter dem Deckmantel von Diana Prince verwandelt sie sich bei Gefahr in Wonder Woman. Sie kämpft (im Gegensatz zu Batman und Superman) im Krieg gegen Nazis und Japaner und besiegt sie oft im Alleingang. Aber sie setzt sich auch sozial ein und bekämpft Kleinkriminelle und Mobber. Marston glaubte daran, dass sich die Welt bald zu einem Matriarchat (wie das der Amazonen) wandeln würde, und Wonder Woman sollte als starke Pazifistin junge Leser auf diesen Wandel vorbereiten, besonders Jungs.
3. Fashion und Fähigkeiten
In ihrer ersten Comicreihe ist Diana zwar die Amazonenprinzessin, aber nicht fähiger als ihre Schwestern, die alle gleichermaßen zu Kriegerinnen ausgebildet wurden (anders als in späteren Reihen, in denen Diana oft besondere Fähigkeiten von den Göttern verliehen bekommt). Sie ist wie alle Amazonen stark und unsterblich. In den 50ern lernt sie fliegen, schon vorher besitzt sie einen unsichtbaren Jet. Ihr Outfit ist zwar knapp, aber aussagekräftig: Die rot-blaue Färbung mit Sternen soll sie als Verbündete Amerikas ausweisen. Die unzerstörbaren Armreifen sind aus den Ketten geschmiedet, die die Amazonen in Hercules‘ Gefangenschaft trugen, und damit ein Mahnmal an die Unterdrückung der Frau. Ihr goldenes Lasso besteht aus dem Gürtel von Hippolyte, dem Herrschaftssymbol des Matriarchats der Amazonen und steht für die Macht der Unterwerfung (siehe Punkt 6). Es gibt Wonder Woman Kontrolle über den Gefesselten und zwingt ihn, die Wahrheit zu sagen. Marston zufolge stehe es für die Sexualität jeder Frau, die Männer in ihren Bann schlagen könne. Sobald aber ein Mann Gewalt über Wonder Woman erlangt, vor allem, indem er sie fesselt, verliert sie ihre Kräfte. Dem Patriarchat ist jede Frau ausgeliefert. Trotzdem gelingt es Wonder Woman immer, sich zu befreien.
4. Gewalt als letztes Mittel
Wonder Woman wächst in einer idyllischen Umgebung auf und wird nicht wie ihre männlichen Kollegen durch Traumata geprägt (Batman und Superman verlieren beide ihre Eltern). Ihr Antrieb besteht damit nicht aus Trauer oder Wut, sondern vielmehr aus Mitgefühl und dem Drang, anderen zu helfen und die Werte der Amazonen weiterzutragen. Gewalt ist für Marstons Wonder Woman nie das Mittel der Wahl. Sie forscht vielmehr nach den Wurzeln des Problems, versucht, die Schurken und ihre Hintergründe zu verstehen und sie mit Worten von ihren Fehlern zu überzeugen. Sie tötet nicht, sondern überlässt die Bösen der Polizei oder dem Militär. Frauen rät sie, sich durch einen Job von Männern unabhängig zu machen. Schurkinnen bringt sie auf Reform Island, um sie mit Hilfe der Werte der Amazonen zu reformieren.
5. Wonder Womans Damsel in Distress
Wie ihre männlichen Kollegen hat Wonder Woman eine Damsel in Distress, die es regelmäßig zu retten gilt: Steve Trevor. Er ist zwar dekorierter Soldat, aber vollkommen unfähig und bringt sich ständig in brenzlige Situationen, in denen Wonder Woman eingreifen muss. Seine einzige Funktion in Marstons Reihe ist es, Wonder Womans Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Dabei ist er Wonder Woman komplett verfallen, während sie ihn ständig abweist und von amourösen Anbandlungen nichts wissen will. Bei Diana Prince, Wonder Womans Deck-Identität, sind die Rollen gerade vertauscht: Die hilflose graue Maus ist Steve Trevors Krankenschwester und später Sekretärin und himmelt ihn an, während er sich nur über sie lustig macht.
6. Wonder Woman als Bondage-Queen
In Wonder Womans ersten zehn Bänden ist sie in 11% aller Panels gefesselt. Fesselszenarien nehmen in Marstons Reihe einen ungewöhnlich großen Raum ein. Die Amazonen integrieren Fesselspiele sogar in ihren Alltag und ihre Festlichkeiten. Marston ging es dabei nicht nur um sexuelle Unterwerfung, sondern um Vertrauen und gegenseitigen Zusammenhalt in allen Bereichen des Lebens. Er wollte vor allem der männlichen Leserschaft die freiwillige Unterwerfung unter Frauen schmackhaft machen, sodass sich das Matriarchat durchsetzen konnte. Männer sollten sich der liebenden Autorität von Frauen ergeben, die die Welt zum Frieden führen würden. Dem widerspricht allerdings, dass in den Comics vor allem Frauen gefesselt werden und das meist gewaltsam. Das verdeutlicht zwar, dass Unterwerfung unter Männer stets mit Gewalt und Machtverlust verbunden ist, es hat aber auch einen eindeutig fetischistischen Aspekt. Trotzdem kann sich Wonder Woman immer befreien, sie siegt immer über die männliche Aggressivität. Marstons Comics sind also feministisch und fetischistisch zugleich.
7. Die realen Wonder Women
Zu Marstons Zeiten zierten vier Extraseiten namens „Wonder Women of History“ jedes Heft. Darin wurden über die Jahre hinweg über 50 außergewöhnliche Frauen aus verschiedenen Disziplinen (wie Medizin, Frauenrecht und Zivilrecht) und verschiedener Nationalitäten und Hautfarben porträtiert, in Form von Comic-Abenteuern. Auch reale Frauen konnten also stark und erfolgreich sein und einen großen Einfluss auf die Welt ausüben. Dieser Zusatzinhalt veränderte sich nach Marstons Tod 1947 aber erheblich. Er wurde durch Essays ersetzt, in denen es nur noch um Hochzeit, Ehe, Kinder, Mode und Make-up ging. Das Supplement wandelte sich also von empowernder feministischer zu pro-domestischer Propaganda.
8. Die domestizierte Wonder Woman
Nach Marstons Tod änderte sich auch Wonder Woman selbst. In den 50ern degradiert sie zu einer typischen Comic-Protagonistin. Ihr wichtigstes Anliegen ist es, Steve zu gefallen. Am liebsten würde sie ihn geheiratet und die allseits ersehnte Kernfamilie gründen, aber ihr nerviger Superheldenjob lässt es nicht zu. Sie kämpft nicht mehr gegen reale Probleme und für das Gute im Menschen, sondern vor allem gegen fantastische und mythologische Monster. In den 60ern gibt sie sogar für Steve ihre Kräfte auf, wird eine normale, moderne Frau im zeitgemäßen Mod-Style und eröffnet eine Modeboutique in New York. Als Steve getötet wird, lernt Diana Prince Karate und ist den Rest der Reihe damit beschäftigt, seinen Tod zu rächen. Gerade in der Zeit der Frauenbewegung tritt Wonder Woman einen Schritt zurück und rotiert ausschließlich um einen Mann. Auch ihre weibliche Güte legt sie ab und ist stattdessen launisch und gewalttätig, ein von Emotionen gelenktes weibliches Klischee, das permanent nach Aufmerksamkeit von starken Männern sucht.
9. Die feministische Ikone als Cover Girl
Das konnte Wonder-Woman-Fan und feministische Aktivistin Gloria Steinem nicht auf sich sitzen lassen und nahm es auf sich, Wonder Woman zu ihren amazonischen Wurzeln zurückzuführen und als liberal-femistische Ikone zu revitalisieren. So zierte Wonder Woman 1972 mit dem Aufruf „Wonder Woman For President“ das erste Cover des Ms. Magazins, des ersten amerikanischen Frauenmagazins, das über Haushaltstipps hinausging und politische Themen behandelte. Wonder Woman war für Steinem das ideale Vorbild einer starken, respektvollen, eigenständigen Frau, die für soziale Gerechtigkeit kämpft. Tatsächlich erhielt Wonder Woman danach auch in den Comics wieder ihre Kräfte. Allerdings wärmten diese mit wenig Erfolg vor allem alte Geschichten auf, und in einigen Episoden muss sich Wonder Woman sogar vor den Männern der Justice League beweisen, deren Mitglied sie ursprünglich ganz selbstverständlich war. Danach erhielt Wonder Woman keine leuchtende Comic-Stunde mehr, während ihr Kollegen Superman und Batman komplexe, düstere Graphic Novels auf den Leib geschrieben bekamen.
10. Die bewegte Wonder Woman
Immerhin im Fernsehen erlebte Wonder Woman noch eine Sternstunde. Die frühere Miss World USA Lynda Carter spielte sie ab 1975 für drei Jahre in einer Real- und mittlerweile Kultserie. Die Serie hält sich an Marstons Origin Story und spielt im Zweiten Weltkrieg, reduziert die Konflikte aber auf Gut (USA) und Böse (Nazis). Es ist zwar eine modernisierte, aber auch sehr glatte, fast geheiligte Version einer guten, starken, unabhängigen Frau – ein Ideal, das von normalen Frauen kaum zu erreichen ist. Daneben kämpft Wonder Woman in der animierten Serie Super Friends neben ihren Justice-League-Kollegen.
Eine pazifistische, charakterstarke, mutige, von allen amourösen Avancen unabhängige, über alle männliche Aggression erhabene, gütige, mitfühlende, dennoch immer einen Ausweg findende Heldin – ich habe die Superheldin meiner Träume gefunden! Sie war schon immer fast zum Greifen nah, aber die Popkultur hat einfach versäumt, sie mir zu erklären. Was habe ich 20 Jahre meines Lebens verpasst! Das werde ich Hollywood nie verzeihen. Batman, den Hamlet unter den Superhelden, liebe ich seit Tim Burton. Dabei war da immer eine Superheldin, die mir in meiner Sensibilität doch noch viel näher war. Suffering Sappho!
6 comments
Vielen Dank für diesen sehr informativen Post! Da ich keine große Comic-Leserin bin, wusste ich über Wonder Woman bisher nämlich gar nichts und bin erst durch den Kinotrailer wieder auf sie aufmerksam geworden. Ich hoffe, der Film ist dann wieder näher an der ursprünglichen Idee von Wonder Woman dran. Ist ja schade, was aus ihr gemacht wurde.
Das ist jetzt allerdings ein Problem: Nach dieser Recherche sind die Erwartungen an den Film natürlich enorm. Ihrem ursprünglichen Charakter scheint er aber recht treu zu sein und das ist ja das Wichtigste.
Als aller erstes Respekt für deinen Beitrag, es hat mein gesamtes nicht existierendes Wissen bereichert. Nur werde ich (leider) immer noch nicht mit ihr warm, denn die Amazonen bei denen sie aufgewachsen sein muss sind definitiv anders als die realen Amazonen. Vom Grad der Brutalität her, das Erscheinungsbild einfach alles…
Der Weg ein Matriachart (auch wenn es friedlich ist) errichten zu wollen ist nicht besser als der Plan ein Patriachart zu führen… Mir ist klar das, dass vermutlich aus der damaligen Unterdrückung der Frau hervorgerufen wurde… doch fände ich ein vollkommen neues System wie den anarchistischen Kommunismus trotzdem irgendwie sinnvoller. Wenn schon Emanzipation dann richtig.
Zudem ist sie mit ihrem Sidekick, der nur dazu dient ihre Fähigkeiten zu schau zu stellen, nicht viel besser als Superman. Wenn sie wirklich eine eigenständige Superheldin wäre, dann doch bitte mit einem eigenständigen Namen… und nicht „Super“woman.
Aber vielleicht sehe ich dass auch alles wieder viel zu Ernst und hab keinen Humor *seufz*
Ich würde nun ja zu gerne die erste Comic-Reihe lesen, um mir das alles mal genauer anzusehen. Dazu bin ich in der Eile leider nicht gekommen. Ich selbst gehe mit Marston auch ganz und gar nicht konform. Weder in seinem biologischen Determinismus noch dieser politischen Einstellung. Ich bezweifle aber, dass diese so deutlich in den Comics rüberkamen. Und das ist es ja letztendlich, was zählt. Aber ich bin auch der Meinung, dass Vorreiter_innen etwas grobschlächtiger sein dürfen, um sich einen Weg zu bahnen (jedenfalls in den Medien). Und dann ist es schon okay, Geschlechterklischees erst mal umzudrehen, um überhaupt auf sie aufmerksam zu machen. Wonder Woman war laut Hanley aber eben doch sehr viel besser als Superman. Sie wollte Menschen tatsächlich helfen und ändern und nicht nur ihre Stärke beweisen. Zumal sie alle mit Respekt behandelte, auch Steve, während Superman Lois Lane nur permanent in die Pfanne haute.
Es ist aber vor allem schlichtweg enorm beeindruckend, dass eine solche Figur in einer solchen Zeit möglich war, im Kino aber bis heute nicht.
Dann bin ich ja jetzt ausreichend gerüstet und kann den Film mit viel Backgroundwissen anschauen…
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